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China und das Virus «Kritik wird zugelassen, damit die Leute Dampf ablassen können»

In China ist die Zahl der Todesopfer durch das Coronavirus erneut angestiegen. Allein in der Provinz Hubei gibt es 24 neue Todesopfer, berichtet das Staatsfernsehen am Dienstag. Inzwischen ist Chinas Premierminister Li Keqiang im Auftrag von Präsident Xi Jingping nach Wuhan gereist. Die Hauptstadt der Provinz mit ihren elf Millionen Einwohnern ist bisher am stärksten betroffen. SRF-Korrespondent Martin Aldrovandi erklärt, was es mit diesem Besuch auf sich hat.

Martin Aldrovandi

Südostasien-Korrespondent

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Martin Aldrovandi berichtet seit Frühjahr 2023 als Korrespondent für Radio SRF aus Südostasien. Zuvor war er von 2016 bis Sommer 2022 Korrespondent für Radio SRF in Nordostasien mit Sitz in Schanghai. Davor hatte er mehrere Jahre lang als freier Journalist aus dem chinesischsprachigen Raum berichtet.

SRF News: Hat der Besuch des Premierministers in Wuhan etwas bewirkt?

Martin Aldrovandi: Ich würde sagen, ja. Die Aufnahmen sieht man in allen staatlichen Medien. Auch in den sozialen Medien wurden die Bilder oft geteilt. Zum Beispiel ein Besuch im Supermarkt, bei dem sich Li Keqiang auch mit einer gewöhnlichen Kundin unterhält. So etwas kommt in der Regel gut an. Aber es wird auch kritisiert, dass der Premier den Kopf hinhalten muss, nicht der Präsident. Diese Kritik sieht man aber nicht in den öffentlichen Medien.

Li Keqiang, Pflegepersonal, alle mit Mundschutz
Legende: Li Keqiang, hier mit Spitalpersonal, geht medienwirksam auf Tuchfühlung mit den Menschen in Wuhan. Keystone

Im Normalfall wird Kritik an der Regierung zensiert. Warum diesmal nicht?

Das ist eine interessante Situation: Am Anfang haben viele staatliche Medien in China sehr viel über die Krankheit berichtet. Das wurde nun ein bisschen zurückgefahren. Jetzt versucht die Regierung, den Informationsfluss – also die Art, wie berichtet wird – wieder unter Kontrolle zu bringen. Man sieht auf den chinesischen sozialen Netzwerken, zum Beispiel auf Weibo, dass vor allem die Lokalregierung kritisiert wird. Das wird zugelassen, damit die Leute ihren Frust ablassen können. Das kann man ja nicht total verbieten.

Es wirkt ein bisschen so, als würden er und die Provinzregierung quasi zu Sündenböcken, die für alles geradestehen müssen, damit die Kritik nicht noch weiter hochgeht.

Auch der Bürgermeister von Wuhan muss sich viel Kritik gefallen lassen. Es wirkt ein bisschen so, als würden er und die Provinzregierung quasi zu Sündenböcken, die für alles geradestehen müssen, damit die Kritik nicht noch weiter hochgeht. Aber man sieht zum Beispiel auf Youtube und anderen Kanälen, die in China nicht zugänglich sind, auch Kritik von Leuten in Wuhan, die die ganze Regierung – also auch die Zentralregierung – kritisieren. Aber diese Zensurmauer kann man nur mit VPN (Virtual Private Network) umgehen.

Das Neueste zum Coronavirus

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Eine Person mit Schutzmaske und Schutzanzug.
Legende: Keystone
  • In Deutschland ist erstmals eine Infektion mit dem Coronavirus bestätigt worden. Ein Mann aus Bayern habe sich infiziert, teilen die Münchner Gesundheitsbehörden mit. Der Patient befindet sich nach Angaben der «Task Force Infektiologie» klinisch in einem guten Zustand. Er werde medizinisch überwacht und ist isoliert.
  • In China hat das Virus laut den lokalen Gesundheitsbehörden 106 Menschen das Leben gekostet. Die Gesamtzahl der bestätigten Erkrankten stieg von 2835 am Vortag auf 4515.
  • Die chinesische Regierung fordert alle Länder auf, ihre Staatsbürger aus dem Gebiet auszufliegen.
  • Als erstes Land holt Japan seine Bürger aus der abgeriegelten Stadt Wuhan. Ein erster Charterflug werde rund 200 Menschen nach Tokio zurückbringen, sagte der Aussenminister. Die japanische Regierung stuft den Erreger als «designierte Infektionskrankheit» ein, womit der Staat rechtlich die Möglichkeit zur zwangsweisen Einlieferung von Betroffenen in Spitäler erhält.
  • Die autonome Region Tibet schliesst vorübergehend alle touristischen Stätten, um die Ausbreitung des Coronavirus zu verhindern. Ausserdem werden alle Einreisenden zur Beobachtung 14 Tage lang unter Quarantäne gestellt.
  • Das US-Aussenministerium rät von Reisen nach China ab. Bereits geplante Reisen sollten erneut auf den Prüfstand gestellt werden hiess es aus Washington.

In einigen grossen Städten haben die Behörden Zwangsferien verhängt. So bleiben Schulen und Universitäten bis Mitte Februar geschlossen. Sie leben selbst in Schanghai. Wie gehen die Menschen dort damit um?

Die meisten Schulkinder freuen sich natürlich, dass sie länger Ferien haben. Für die Studenten, die von auswärts kommen, ist es ein bisschen mühsam, weil sie nicht in die Stadt zurückfahren dürfen, wenn sie aus einer anderen Provinz kommen. Ansonsten sind die Menschen vorsichtig.

Man bleibt zu Hause, schaut fern und versucht, sich nicht gross zu bewegen, wenn man es irgendwie vermeiden kann.

Sie haben nicht allzu grosse Angst, aber was man sieht ist, dass fast jeder und jede einen Mundschutz trägt. Und die Leute gehen weniger hinaus, auch weil chinesisches Neujahr ist. Man bleibt zu Hause, schaut fern und versucht, sich nicht gross zu bewegen, wenn man es irgendwie vermeiden kann.

Das Gespräch führte Christina Scheidegger.

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