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Coronavirus in Brasilien «Quarantäne ist in den Favelas nicht möglich»

Das Coronavirus hat am Wochenende auch die Armutsviertel in Brasilien erreicht. In den Favelas von Rio de Janeiro lebt rund ein Fünftel der 8-Millionen-Metropole unter prekären hygienischen Bedingungen und akutem Wassermangel. Die Behörden täten aktiv sehr wenig, sagt Südamerika-Korrespondent Ulrich Achermann.

Ulrich Achermann

Südamerika-Korrespondent, SRF

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Ulrich Achermann ist seit 2003 SRF-Korrespondent und berichtet über alle Länder Südamerikas. Er lebt in Santiago de Chile.

SRF News: Eine positiv getestete Person aus einer Favela ist bekannt – was wissen Sie über die aktuelle Corona-Situation in Rio?

Ulrich Achermann: Neben der ersten positiv getesteten Person in Rio sind derzeit etwa 50 weitere Favela-Bewohner unter Beobachtung. Sie haben einen ersten Test hinter sich und warten nun auf das Ergebnis des zweiten Tests. Aus einer sehr grossen Favela in São Paulo weiss man bereits, dass die Ausbreitung des Virus unter diesen Bedingungen sehr schnell vorwärtsgeht. Dort gab es am Montagfrüh schon fünf positive Fälle.

Die Hygiene-Vorschriften sind kaum einzuhalten. Was unternehmen denn die Behörden, um die Leute in den Armenvierteln zusätzlich zu schützen?

Die Behörden tun aktiv eigentlich sehr wenig. In Rio zum Beispiel hat die Wasserversorgung jetzt 40 Tanklastzüge bereitgestellt, um Wasser in die Favelas zu bringen. Aber das ist angesichts der grossen Zahl von Menschen in den Favelas nicht mehr als ein Tropfen auf den heissen Stein. Die hygienischen Bedingungen sind allgemein katastrophal. Das hat auch damit zu tun, dass in den Armenvierteln oft sechs oder sieben Menschen in einem einzigen Raum leben.

Die Möglichkeit, Erkrankte zu isolieren, gibt es eigentlich gar nicht.

Wie steht es um die Gesundheitsversorgung der Favela-Bewohnerinnen und -Bewohner – haben sie Zugang zu medizinischer Hilfe?

In der Theorie schon. Aber ein sehr bekannter Mediziner hat heute prophezeit, auf dem Höhepunkt der Epidemie würden die Armen vor den Toren überfüllter und überforderter Spitäler sterben. In Brasilien gibt es pro 100'000 Menschen gerade einmal drei Beatmungsgeräte. Hier zeigen sich die strukturellen Schwächen im öffentlichen Gesundheitssystem.

Ein sehr bekannter Mediziner hat heute prophezeit, auf dem Höhepunkt der Epidemie würden die Armen vor den Toren überfüllter Spitäler sterben.

Wie gehen die Leute in den Favelas von Rio mit dieser Situation um?

Die Menschen versuchen sich so schnell wie möglich selber zu organisieren. Die Nachbarschaftskomitees klären die Leute über die Gefährlichkeit des Virus auf und was man dagegen tun kann. Dazu gibt es in einzelnen Favelas auch Zugangskontrollen. So werden zum Beispiel Menschen nicht mehr hereingelassen, die klar als Ausländer identifizierbar sind. Man befürchtet, sie könnten das Virus in sich tragen und weitergeben.

Favela in Rio.
Legende: Die Favela Rocinha in Rio de Janeiro am letzten Montag. Mittlerweile hat die Regierung mit Reisebeschränkungen reagiert. Keystone/Archiv

Präsident Bolsonaro hat das Coronavirus bisher als kleine Grippe verharmlost. Wie geht man in Brasilien mit der Corona-Pandemie um?

Bolsonaro bleibt eigentlich bei seiner Überzeugung und gibt ständig Gegensteuer, wenn Bürgermeister oder Gouverneure der Teilstaaten Einschränkungen in der Bewegungsfreiheit erlassen. Damit hat er aber die politische Initiative verloren und steht in der Öffentlichkeit in einem völlig schiefen Licht da. Der Druck von unten auf ihn ist jetzt sehr gross geworden, und es sind die untergeordneten Instanzen, die im Augenblick das Heft in der Hand haben und mit Massnahmen wirklich vorwärtsmachen.

Das Gespräch führte Brigitte Kramer.

Rendez-vous, 23.03.2020, 12:30 Uhr ; 

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