Welches Problem auch immer die Einwohner Russlands plagt, einmal jährlich können sie sich damit direkt an Präsident Wladimir Putin wenden. Weswegen der Fisch in Wladiwostok zu teuer – oder das Gehalt im Grenzgebiet zum Baltikum zu niedrig ist: Präsident Putin antwortet auf alle grossen und kleinen Fragen Russlands.
Technisch hat sich seit der ersten «Direkten Linie» im Jahr 2001 so einiges getan. Der Klassiker per Telefon ist geblieben, doch heute gibt es auch ein russisches Facebook und eigens eine Moskau-Putin-App des staatlichen TV-Senders. Die Fragen nach zu tiefen Löhnen und Renten wiederholen sich ebenso gebetsmühlenartig, wie das gesamte Prozedere schon fast einem Ritual gleicht.
Anzeichen dafür, dass die Russen der Show müde sind, lassen sich nicht von der Hand weisen. In diesem Jahr wurden knapp 1.5 Millionen Fragen im Vorfeld eingereicht. Vor einem Jahr waren es noch über zwei Millionen Fragen gewesen. Bezeichnend für den Vertrauensverlust der Bevölkerung in den russischen Präsidenten.
Verantwortung für Russlands leere Kassen
Vor knapp einem Monat veröffentlichte das staatliche Umfrageinstitut Vtsiom ein Umfrageergebnis, das in der Kreml-Administration für rote Köpfe sorgte: Auf die Frage «Welchem Politiker trauen Sie die Lösung wichtiger staatlicher Fragen zu?» nannten gerade einmal 31 Prozent der Befragten den Namen von Wladimir Putin. Noch knapp ein Jahr zuvor lag dieser Wert bei mehr als 57 Prozent.
Unabhängige Experten erklären sich diesen Vertrauensverlust mit der unbeliebten russischen Rentenreform, die Präsident Putin seit September vergangenen Jahres unterstützt, und der schwierigen wirtschaftlichen Lage vieler Russinnen und Russen.
Eine Frage der Fragestellung
Auf die Umfrageergebnisse angesprochen, forderte der Sprecher des Kremls, Dmitri Peskow, eine Klarstellung durch das Umfrageinstitut. Daraufhin wurde die Fragestellung geändert. Aus der offenen Frage wurde erstmals seit Umfrageerhebung eine geschlossene Frage, die nur mit Ja oder Nein beantwortet werden kann: «Vertrauen Sie Wladimir Putin?». Dies bejahten mehr als 72 Prozent aller Befragten. «Ein sensationelles Resultat», kommentierte der Generaldirektor des staatlichen Umfrageinstitutes die neuen Ergebnisse.
Mit einer anderen Umfragemethode löst man das Problem des sinkenden Vertrauens nicht.
Über solche Methoden schütteln andere russische Soziologen den Kopf. Aus Sicht des Leiters des vom Kreml unabhängigen Instituts Lewada, Denis Wolkow, ändert dies nichts an der Ausgangslage: «Dieses Verhalten ist typisch für Bürokraten. Wenn ein Bürokrat in seinem Bereich ein schlechtes Resultat sieht, greift er zu solchen Mitteln. Doch mit einer anderen Umfragemethode löst man das Problem des sinkenden Vertrauens nicht an der Wurzel.»
Die Frage, wie das Vertrauen der Bevölkerung in den Präsidenten langfristig wieder wachsen könnte, wurde vor laufender Kamera nicht gestellt. Es scheint als hätte Wladimir Putin darauf keine Antwort bereit.