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Drogenhandel im Westbalkan Gangster und Politiker – Hand in Hand

Das organisierte Verbrechen vom Westbalkan verdient weltweit Milliarden. Zuhause ist es eng vernetzt mit der Politik.

Dezember 2018 – es sind noch drei Tage bis Heiligabend. Die österreichische Hauptstadt Wien ist voll mit Leuten beim Weihnachtseinkauf. Da fallen plötzlich Schüsse. Zwei Männer haben gerade im berühmten Wiener Schnitzellokal Figlmüller gegessen. Als sie das Restaurant verlassen, gibt ein Unbekannter eine Reihe von Schüssen auf sie ab. Der eine von ihnen ist sofort tot, der andere überlebt schwer verletzt. Es ist eine Abrechnung zwischen zwei Verbrecher-Clans aus Montenegro.

Der Hafen von Kotor in Montenegro.
Legende: Der Hafen von Kotor in Montenegro. Von hier stammen die beiden Clans, die sich bekriegen. Christoph Wüthrich

Nicht nur in Wien, sondern auch in Belgrad, Malaga, Athen, Amsterdam und Berlin ist es zu ähnlichen Mordanschlägen im Krieg zwischen den zwei Clans gekommen. Insgesamt hat er inzwischen mehr als 50 Todesopfer gefordert.

Alles begann 2014 in Valencia, weil dort ein Teil des Kotor-Clans dem anderen 200 Kilogramm Kokain gestohlen hatte. Der Clan, benannt nach der montenegrinischen Hafenstadt Kotor, zerbrach deswegen in zwei Teile. Seither bekämpfen sich diese erbarmungslos.

Routen für Heroin und Kokain

Dieser Bandenkrieg wirft ein Schlaglicht auf eine Unterwelt, die sonst kaum beachtet, riesige Summen verdient und ihre Aktivitäten immer mehr weltweit ausdehnt. Viel Informationen über das organisierte Verbrechen vom Westbalkan hat die «Global Initiative Against Transnational Organized Crime» gesammelt. Die internationale Nichtregierungsorganisation gegen das organisierte Verbrechen hat ihren Hauptsitz in Genf.

«Es gibt nicht das Balkan-Kartell und auch nicht die albanische Mafia. Es gibt eine Reihe von Gruppen und Netzwerken, die punktuell zusammenarbeiten. Die Gruppen bestehen jeweils aus rund 20 Männern. In der Regel gehören sie der gleichen Nation an, aber oft arbeiten sie auch über ethnische Grenzen hinweg zusammen», sagt Walter Kemp von der Nichtregierungsorganisation.

Grafik Balkanroute
Legende: Die unterschiedlichen Heroin- und Kokain-Vertriebswege durch den Westbalkan. Quelle: Global Initiative Against Transnational Organized Crime

Die kriminellen Banden vom Westbalkan sind auf den verschiedensten Feldern aktiv. Sie sind im internationalen Waffenhandel tätig, im Menschenhandel und in den letzten Jahren im Schmuggel von Migranten auf der Balkanroute. Ihr wichtigster Geschäftszweig ist traditionsgemäss aber der Drogenhandel. Dabei kommt ihnen die geografische Lage des Balkans zunutze. Die Region liege an der Route zwischen wichtigen Produktionsstandorten und wichtigen Absatzmärkten, erklärt Kemp.

Drogenschmuggler suchen den Weg des geringsten Widerstands.
Autor: Walter Kemp Global Initiative

Heroin wird von Afghanistan und der Türkei her durch die Länder des Balkans Richtung Westen geschmuggelt. Kokain kommt übers Mittelmeer zu den Häfen Albaniens und Montenegros und geht weiter in alle Himmelsrichtungen. «Drogenschmuggler suchen den Weg des geringsten Widerstands. Und sie haben festgestellt, dass für sie in den Häfen von Montenegro und Albanien ein sehr geringes Risiko besteht aufzufliegen», stellt Kemp von Global Initiative fest.

Expansion nach Lateinamerika

In den letzten Jahren sind die kriminellen Gruppen vom Westbalkan immer mehr auch in anderen Teilen der Welt präsent geworden. Sehr aktiv sind sie in Lateinamerika, in den Gegenden, wo Kokain hergestellt wird, in Westeuropa, wo es eine grosse balkanische Diaspora gibt, aber auch in Südafrika, Australien und Nordamerika.

Der Drogenboss Darko Šarić vor Gericht.
Legende: Der Drogenboss Darko Šarić vor Gericht. Reuters

Wie lukrativ das Geschäft mit Kokain aus Südamerika ist, zeigt der Fall des Montenegriners Darko Šarić. Seine Bande ist 2009 bei einer internationalen Polizeiaktion in Uruguay aufgeflogen. Mit einer Motorjacht wollten die Gangster drei Tonnen Kokain aufs offene Meer hinausbringen, um es dann auf ein Frachtschiff Richtung Europa umzuladen.

Šarić galt als einer der weltweit meistgesuchten Drogenbosse. Er soll mit Kokain sage und schreibe fünf Milliarden Euro verdient haben. Nachdem er aufgeflogen war, sprangen die Leute aus Kotor in die Lücke, die sich jetzt den erwähnten Bandenkrieg liefern.

Da sind hocheffiziente Unternehmer am Werk.
Autor: Walter Kemp Global Initiative

Diesen Sommer kam es zu einer ebenfalls erfolgreichen internationalen Polizeiaktion gegen die albanische Bande Kompania Bello. Ihr wurden vier Tonnen Kokain auf einmal abgenommen.

«Der Fall zeigt, dass insbesondere Gruppen aus Albanien in den letzten Jahren ein Geschäftsmodell entwickelt haben, das die ganze Lieferkette in einer Hand zusammenfasst. Von der Produktion des Kokains über den transkontinentalen Schmuggel bis zum Kleinhandel auf der Strasse irgendwo in Europa. So können diese Gruppen den Preis tief halten und die Reinheit ihrer Drogen hoch. Da sind hocheffiziente Unternehmer am Werk», erklärt Walter Kemp von Global Initiative.

Wurzeln liegen in den Kriegen der 90er-Jahre

In den Ländern des Westbalkans ist das organisierte Verbrechen eng verbunden mit der Wirtschaft und der Politik. Das gilt in unterschiedlichem Mass für fast alle Länder: für Serbien, Montenegro, Albanien, Kosovo und Bosnien-Herzegowina.

Dieser Filz hat unter anderem zur Folge, dass die Staatsanwaltschaft keine oder kaum brauchbare Anklagen gegen das organisierte Verbrechen vor Gericht bringt und dass man tatenlos zuschaut, wie kriminelle Gelder gewaschen werden. Im Fall von Montenegro bestätigt das der Sicherheitsexperte und ehemalige Parlaments-Abgeordnete der Opposition, Zoran Miljanić.

Željko Ražnatović, alias Arkan, und seine Tiger.
Legende: Željko Ražnatović, alias Arkan, und seine Tiger. Keystone

Der Filz aus Politik und organisiertem Verbrechen hat historische Wurzeln in den 90er-Jahren. In Serbien warb Machthaber Slobodan Milošević Kriminelle an, um für den Krieg paramilitärische Verbände aufzubauen und um das internationale Embargo mit Schmuggelgeschäften zu umgehen. Bekanntester Vertreter dieses Verbrecher-Typs war Željko Ražnatović, alias Arkan, der mit seiner «Tiger» genannten Truppe in Kroatien und Bosnien-Herzegowina wütete.

Diese Kriminellen kamen so zu Macht und Geld und wurden Teil der neuen Wirtschaftselite. In Montenegro akkumulierte die neue Elite ihr Kapital mit Zigarettenschmuggel übers Meer nach Italien. Und auch in Kosovo haben die Machthaber mafiöse Verbindungen, die aus dem Unabhängigkeitskampf hervorgegangen sind.

Kein Interesse an der Konfliktlösung

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Die Kriege beim Zerfall des ehemaligen Jugoslawiens machten das organisierte Verbrechen reich und mächtig. Und es profitiert nach wie vor von den Spannungen. «Es hat grosses Interesse, dass die Grenzen umstritten bleiben und eingefrorene Konflikte nicht gelöst werden.» Das sagt Danilo Mandić, Soziologe an der Harvard-Universität in den USA. Demnächst veröffentlicht er ein Buch mit dem Titel «Gangsters and other statesmen».

Im von Serben bewohnten Norden Kosovos wird sichtbar, wie das organisierte Verbrechen von der Ungewissheit profitiert. «Dort sind sowohl der serbische als auch der kosovarische Staat präsent und ihre Behörden konkurrenzieren sich. Je widersprüchlicher die Regeln und je unklarer die Zuständigkeiten, desto günstiger ist das Umfeld für Schmuggel-Geschäfte und für andere illegale Aktivitäten», sagt Mandić.

«Auffällig ist, dass die multiethnische Zusammenarbeit zwischen Kosovo-Albanern und Serben nirgendwo so gut funktioniert wie beim organisierten Verbrechen.» Beide Seiten profitierten davon, als der Konflikt vor zwei Jahren wieder einmal eskalierte und Kosovo vorübergehend für serbische Importe 100-prozentige Strafzölle einführte.

«Viele Akteure auf dem internationalen diplomatischen Parkett sind sich dieser Verbindungen nicht bewusst. Oftmals wären sie besser beraten, wenn sie erst einmal das Problem des organisierten Verbrechens angehen würden. Sie kämen weiter bei der Lösung solcher Konflikte», rät Mandić.

Kriegserklärung war warme Luft

In Serbien hat die Regierung vor vier Jahren dem organisierten Verbrechen offiziell den Krieg erklärt. Man werde alle Mittel ergreifen, um mit den Kriminellen hart abzurechnen, sagte der damalige Innenminister Nebojša Stefanović. Er reagierte damit auf mehrere Morde im bereits erwähnten Krieg der zwei Clans aus Montenegro. Doch inzwischen ist klar, dass diesen Worten keine Taten gefolgt sind. Es wird weiter geschossen und es explodieren weiterhin Bomben.

Der Sohn von Staatspräsident Vučić in Gesellschaft von Kriminellen.
Legende: Der Sohn von Staatspräsident Vučić in Gesellschaft von Kriminellen. Investigativ-Portal KRIK

Stevan Dojčinović ist Chefredaktor von KRIK. Dieses Investigativ-Portal hat in jahrelanger minutiöser Recherchearbeit die Kontakte zwischen dem organisierten Verbrechen und den Machthabern in Serbien dokumentiert. «Wir haben nachgewiesen, dass einer der zwei Clans, die sich bekriegen, enge Verbindungen hat zu den Behörden, zur Polizei und bis ganz hinauf an die Spitze des Staates. Verschiedene dieser Kontakte sind mit Fotos belegt», sagt Dojčinović.

Die Clans haben Verbindungen bis ganz hinauf an die Spitze des Staates.
Autor: Stevan Dojčinović Chefredaktor von KRIK

Eines der zahlreichen Fotos zeigt zum Beispiel den Sohn von Staatspräsident Aleksandar Vučić in einer Belgrader Bar in Gesellschaft eines Mannes, der als Clan-Mitglied bekannt ist.

Der Präsidentensohn wurde auch an der letzten Fussball-WM in Russland im Kreis dieser Leute auf der Tribüne fotografiert. Eine Fussball-Hooligangruppe, die mit diesem Clan verbunden ist, übernahm bei der Amtsvereidigung Präsident Vucics sogar den Sicherheits-Dienst. Die Regierung hat das ganze Beweismaterial pauschal zurückgewiesen und mit einer Verleumdungskampagne gegen KRIK reagiert.

Staat schlägt sich im Clan-Krieg auf die eine Seite

«Acht Jahre lang haben wir das Verhalten der serbischen Polizei analysiert, alle ihre Festnahmen. Und wir haben festgestellt, dass sie nur Täter des einen und nicht des anderen Clans festgenommen hat», sagt Dojčinović und weist auf einen wichtigen Punkt hin. «Es ist nicht einfach ein Krieg zwischen zwei Clans aus Montenegro. Die Sache ist grösser. Dieser Krieg hat weite Teile der kriminellen Szene auf dem Balkan gespaltet. Auch serbische Banden haben sich für die eine oder für die andere Seite entschieden», erklärt der Chefredaktor von KRIK.

Es ist nicht klar, warum sich in Serbien sogar die Machthaber auf die eine Seite geschlagen haben und es ist nicht abzuschätzen, wohin dieser Bandenkrieg noch führt. Aber die Entwicklung zeigt, dass die fatale Kultur der Zusammenarbeit von staatlichen und kriminellen Akteuren, die in den kriegerischen 90er-Jahren begonnen hat, weiterbesteht.

International, 05.12.2020, 09.08 Uhr

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