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Ein Land vor dem Bankrott Argentiniens neuer Präsident steht vor einer Herkulesaufgabe

Zehntausende feierten auf den Strassen von Buenos Aires. Zu spüren waren Freude – und Hoffnung. Doch wie der künftige Präsident Alberto Fernández die Krise bekämpfen und gleichzeitig seine Wahlversprechen einlösen will, ist nicht klar.

Er übernimmt ein hoch verschuldetes Land mit sehr geringen Zentralbankreserven. Die neuen Devisenbeschränkungen, die heute in Kraft treten sollen, sind ein Realitätsschock: Der Wahlkampf ist vorbei, Argentinien muss nun versuchen, einen Staatsbankrott zu vermeiden.

Viele Argentinier haben in den letzten Wochen bereits ihre Bankkonten leergeräumt und Peso-Guthaben in US-Dollar getauscht. Denn es war schon länger klar: Egal, wer die Wahlen gewinnt, der neue Präsident wird versuchen müssen, die Kapitalflucht zu stoppen. Monatlich darf jeder Bürger ab sofort maximal Pesos im Wert von 200 US-Dollar eintauschen. Angeordnet wurde die Devisenbeschränkung von Noch-Präsident Macri, ohne Absprache mit Fernández.

Rückkehr einer Reizfigur

Die Erwartungen an den künftigen Präsidenten sind hoch. Doch die Schuldenkrise wird das Land in den nächsten Jahren begleiten. Macri hat ein Kunststück geschafft, das ihm die wenigsten zugetraut hätten: Er hinterlässt seinem Nachfolger ein Land, das schlechter dasteht als bei seinem Amtsantritt 2015.

Die Inflation lag bei 26,9 Prozent, in diesem Jahr könnte sie bei 60 Prozent liegen. Die Arbeitslosigkeit hat sich fast verdoppelt. Mehr als 20’000 kleine und mittlere Unternehmen mussten in den letzten vier Jahren ihre Tore schliessen. Auf Macri warten mehrere Gerichtsverfahren aufgrund von Korruptionsverdacht und Interessenskonflikten.

Kritisch beäugt wird von vielen die designierte Vizepräsidentin – eine alte Bekannte: Cristina Fernández de Kirchner, die nicht verwandt ist mit Alberto Fernández. Kirchner stand in den letzten Jahren mehrfach unter Korruptionsverdacht, noch sind nicht alle Verfahren abgeschlossen. Dennoch lieben ihre Anhänger sie innig.

Sie haben gute Erinnerungen an ihre Amtszeit, in denen das Land relativ stabil war und es viele neue Universitäten gab sowie erstmals ein Kindergeld. Viele der Verbrechen der letzten Militärdiktatur (1976-83) wurden in ihrer Regierungszeit aufgearbeitet.

Eine schier aussichtslose Situation

Die Amtsübergabe findet erst am 10. Dezember statt. Doch das Land steht kurz vor dem Staatsbankrott, die Zentralbankreserven schrumpfen täglich. Seit den Vorwahlen Mitte August hat die Zentralbank Stützkäufe in Höhe von 23 Milliarden Dollar geleistet, um den Peso-Kurs einigermassen stabil zu halten.

Deshalb haben sich Fernández und Macri für heute zu einem gemeinsamen Frühstück verabredet – denn bis Dezember müssen die beiden zusammenarbeiten, um eine einigermassen geordnete Übergabe zu ermöglichen.

Die Situation im Land ist heikel, es herrscht Nahrungsmittelnotstand. Dennoch war es in den letzten Monaten während des Wahlkampfs verhältnismässig ruhig auf den Strassen. Der Grund: die Hoffnung auf einen Wechsel und damit auf eine Besserung der Lage.

Karen Naundorf

Südamerika-Korrespondentin

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Karen Naundorf ist SRF-Korrespondentin in Südamerika, Standort Buenos Aires. Sie hat in Berlin und Barcelona Kommunikation studiert, die Henri-Nannen-Journalistenschule in Hamburg absolviert und ist Fellow des Pulitzer Center on Crisis Reporting.

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