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Bald unter europäischer Flagge? Ein Soldat im Einsatz.
Legende: Bald unter europäischer Flagge? Ein Soldat im Einsatz. Keystone
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International «Eine EU-Armee ist völlig unrealistisch»

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat eine alte Idee wieder aufleben lassen: die Einrichtung einer europäischen Armee. Blosses Kopfkino oder reales Szenario? Zwei Experten erklären, warum das Projekt an und für sich, vor allem aber am heutigen Tag keine Chance hat.

Die Verunsicherung war gross, als sich Donald Trump im Wahlkampf nicht eindeutig zur Beistandspflicht in der Nato bekennen wollte: Die USA würden den Mitglieds-Staaten bei einem Angriff nurmehr dann zu Hilfe kommen, sagte er, wenn sie ihre Verpflichtungen erfüllten.

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker reagierte vor wenigen Tagen in einer Rede auf die Drohung: «Die Amerikaner (...) werden nicht auf Dauer für die Sicherheit der Europäer sorgen. Das müssen wir schon selbst tun. Deshalb brauchen wir einen neuen Anlauf in Sachen europäischer Verteidigungsunion bis zum Ziel der Einrichtung einer europäischen Armee.» Die Stellungnahme sorgte ihrerseits für neue Beklemmung. Namentlich einige osteuropäische Staaten und Grossbritannien sperrten sich sofort gegen die Idee. Zu Recht? SRF News hat mit Experten gesprochen.

Frage trifft Kern der Souveränität

Laut Mauro Mantovani, Dozent für Strategische Studien an der Militärakademie der ETH Zürich, ist die europäische Armee ein «uraltes Thema, das immer wiederkehrt». Doch fehlten den Ländern, so wie sie jetzt aufgestellt seien, schlicht die finanziellen und personellen Ressourcen.

«Die Staaten haben ihre Armeen in den letzten 20 Jahren nur immer weiter zurückgefahren. Wollte nun Europa, auch im Verbund, seine Territorien etwa gegen Russland verteidigen, müssten die Staaten zunächst die Verteidigungsausgaben erhöhen und wohl auch die allgemeine Wehrpflicht wieder einführen.»

Auch aus politischen Erwägungen räumt der Militär-Experte einer europäischen Armee wenig Chancen ein. «Die EU-Länder sind nicht bereit, Truppen unter ein einheitliches Oberkommando zu stellen. Denn die Truppen sind die letzten Instrumente nationaler Souveränität. Kein EU-Staat will diese Souveränität abtreten.» Zwar hätten die Länder im Rahmen der Nato – und nur in der Nato – einen Teil der militärischen Souveränität abgegeben. Doch präge das Bündnis «eine klare amerikanische Dominanz.»

Die Befürchtungen, dass Deutschland eine militärische Führungsrolle übernehmen könnte, sind (...) nach wie vor sehr gross.
Autor: Mauro MantovaniDozent für Strategische Studien

Die prekäre Rolle Deutschlands

Diese amerikanische Dominanz hat den Vorteil, dass einzelne europäische Staaten militärisch nicht zu stark werden können. Mantovani: «Die Befürchtungen, dass Deutschland eine militärische Führungsrolle übernehmen könnte, sind europaweit nach wie vor sehr gross.» Sie seien zwar nicht realistisch, zumal die Bundesrepublik keine Nuklearwaffen besitzt und sich unterdurchschnittliche Militärausgaben leistet. Doch «unterschwellig» spiele dieses Szenario gewiss noch eine Rolle.

Dass Junckers Idee blosses Kopfkino bleibt, ist auch die Ansicht von SRF-Brüssel-Korrespondent Sebastian Ramspeck. «Eine EU-Armee, von der sich die Staaten beschützen lassen würden, ist völlig unrealistisch. Man braucht kein Experte zu sein, um zu begreifen, dass es in der Europäischen Union enorm viel gegenseitiges Misstrauen gibt und deshalb in absehbarer Zeit auch keine Grundlage für neue Monsterprojekte.»

Europäische Verteidigung ist ineffizent

Allerdings: Auch wenn dem Monsterprojekt kein Erfolg bestellt ist, mag eine Kosten-Nutzen-Rechnung doch längerfristig für eine verstärkte militärische Zusammenarbeit der europäischen Staaten sprechen. Anfang der 2000er-Jahre haben namhafte Politikwissenschafter wie Robert O. Keohane oder Keith Hartley Aufwand und Ertrag der amerikanischen und europäischen Rüstungspolitik verglichen: Dabei hat sich gezeigt: Europäische Truppen bringen 60 Prozent der amerikanischen Rüstungsausgaben auf. Misst man aber die europäische Truppenstärke, beschränkt sich diese auf gerade einmal 15 Prozent der Schlagkraft der US-Armee.

2015 kommt dann eine Studie des Centre for European Policy Studies (CEPS) zu einem weiteren ernüchternden Schlus: Der Verzicht auf eine gemeinsame europäische Armee verursacht horrende Kosten. 130 Milliarden Euro angesichts der verschärften Bedrohungslage auf dem Kontinent.

Video
EU-Aussenminister diskutieren Trumps Pläne
Aus Tagesschau vom 14.11.2016.
abspielen. Laufzeit 2 Minuten 24 Sekunden.

EU als «Einkaufs-Gemeinschaft»

Dieses Problem hat die EU offenbar erkannt. Sie diskutierte am Aussenminister-Treffen in Brüssel, wie eine verstärkte europäische militärische Kooperation – jenseits einer gemeinsamen Armee – aussehen könnte.

Korrespondent Ramspeck schätzt: «Die eine oder andere Form der engeren Zusammenarbeit ist zumindest (...) denkbar. Zum Beispiel, dass in Zukunft die EU-Staaten Panzer oder auch Kampfflugzeuge gemeinsam beschaffen – als Einkaufs-Gemeinschaft gewissermassen.» Damit dieses Militärgerät in der Praxis dann auch problemlos eingesetzt werden könnte, müssten die europäischen Länder derweil noch «erstaunliche Hürden» überwinden.

Engere Zusammenarbeit – aber keine gemeinsame Armee

Die EU will sofort auf mehreren Ebenen ihre Verteidigungsfähigkeit stärken. Dies vereinbarten die EU-Aussen- und Verteidigungsminister am Montag in Brüssel. Grund für die Pläne seien vor allem die Terroranschläge im vergangenen Jahr in Frankreich – und weniger die Wahl des Nato-skeptischen neuen US-Präsidenten Donald Trump, sagte EU-Aussenbeauftragte Federica Mogherini. Die Pläne sehen vor, «rasch» bereits bestehende Kapazitäten auszubauen und die Finanzen dafür aufzustocken. Ausserdem sollen gemeinsame Ausbildung und Planung intensiviert werden. Kein Thema ist derzeit jedoch eine noch engere Zusammenarbeit, die zu einem gemeinsamen EU-Hauptquartier oder einer gemeinsamen EU-Armee führen würde. Dies würde zu Parallelstrukturen zur Nato führen, war zu hören. Die Vorschläge der Minister sollen auf dem EU-Gipfel im Dezember abgesegnet werden.

Mauro Mantovani

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Mauro Mantovani

Der Dozent für Strategische Studien lehrt an der Militärakademie der ETH Zürich. Vorher war er beim VBS und beim strategischen Nachrichtendienst tätig.

Sebastian Ramspeck

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Sebastian Ramspeck

Sebastian Ramspeck ist SRF-Korrespondent in Brüssel. Zuvor arbeitete er als Wirtschaftsreporter für das Nachrichtenmagazin «10vor10». Ramspeck studierte Internationale Beziehungen am Graduate Institute in Genf.

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