Regierungschef Passos Coelho hat verhindert, dass Portugal sich zu einem «zweiten Griechenland» entwickelt. Das liberal-konservative Regierungsbündnis «Portugal à Frente» wurde in Brüssel und von Medien als «Musterschüler» unter den Euro-Krisenländern gefeiert. Am Sonntag wird man nun wissen, was die Portugiesen von dem seit 2011 anhaltenden, äusserst strengen Sanierungsprogramm halten.
Noch gleicht die Berichterstattung in Portugal mehr einem Live-Ticker, politische Analyse wird leidlich vermisst. Derweil zeigen die Umfrage-Resultate vor allem eines: Kurz vor den Wahlen ist klar, dass nichts klar ist. Regierungspartei und die von Antonio Costa angeführte sozialistische Opposition liegen Kopf an Kopf. SRF-Auslandredaktor Martin Durrer mit den Einzelheiten.
Martin Durrer: Grundsätzlich schon. Laut aktuellen Umfragen liegt die Regierungskoalition mit 37 Prozent an der Spitze, gefolgt von den Sozialisten mit 33. Das ist kein klares Ergebnis. Links von den Sozialisten gibt es die Kommunisten mit 9 Prozent und den Linksblock mit 8. Wenn man sich jetzt eine Regierung vorstellen will, müsste sie wahrscheinlich eher auf der linken Seite angesiedelt sein als Mitte-Rechts.
Alle Parteien haben eines gemeinsam: Sie sind weit weg von der absoluten Mehrheit und brauchen einen Koalitionspartner.
Das ist richtig, und das wird für die Regierungskoalition schwieriger, weil es im Mitte-Rechts-Lager nichts gibt. Irgendjemand im linken Lager müsste Hand bieten. Das halte ich aber nicht für sehr wahrscheinlich.
Portugal hat unter unter der Wirtschaftskrise gelitten – und sich bis heute eigentlich nicht erholt. Inwiefern spielen diese Krisen-Erfahrungen jetzt in den Wahlen eine Rolle?
Zunächst indem man spürt, dass das Misstrauen gegenüber der Politik vielleicht noch stärker geworden ist. Portugal ist seit längerer Zeit eines der demokratischen Länder auf der Welt, in denen die Wahlbeteiligung immer weiter sinkt. 2011, als die Krise schon wirklich installiert war, war die Wahlabstinenz bei über 40 Prozent. Es wird interessant sein zu sehen, wie das diesmal ist. Es gibt sehr viele Unentschlossene. Vieles liegt noch im Dunkeln.
Inhaltlich hat man über die Krise gesprochen, das heisst im Wesentlichen: Weiter Sparen, weiter Budget-Disziplin, wenn es nach dem Regierungslager geht. Oder aber weniger von alldem, das wäre das sozialistische Lager. Deutlich vom Sparkurs abweichen, wie etwa Syriza in Griechenland, ist von einer solchen Regierung nicht zu erwarten.
Die Prognosen sind unklar, die Regierungsbildung wird ebenfalls schwierig. Ist der Sonntag ein heikler Tag für Portugal?
Es ist ein Tag, an dem ganz Wichtiges entschieden wird. Es könnte eine Linksregierung geben, wenn sich Linksblock und Kommunisten dafür entscheiden, die Sozialisten zu unterstützen oder mindestens zu tolerieren. Der Linksblock hat das bereits als einzige Partei bekannt gegeben. Die anderen haben das nicht geäussert.
Heute möchte ich nicht darauf wetten, dass eine solche Linksregierung vier Jahre im Sattel bleiben würde. Es gibt aber auch die Möglichkeit, dass sich niemand bewegt und es keine Mehrheitsverhältnisse gibt, die regierbar sind. Dann käme Portugal in eine schwierige Situation. Im März 2016 sind Präsidentschaftswahlen; vorher noch einmal Wählen geht nicht, dann wiederum drei Monate nicht. Dann wäre Portugal bis Juni/Juli ohne eine fest installierte, demokratisch gewählte Regierung. Und das wäre wirtschaftlich gefährlich.
Das Gespräch führte Philippe Chappuis.
Das halbvolle und das halbleere Glas
Nach drei Rezessionsjahren in Serie, in denen die portugiesische Wirtschaft in Folge des harten Sanierungsprogramms insgesamt um 6,5 Prozent geschrumpft war, durfte man sich 2014 über ein Wachstum von 0,9 Prozent freuen. Für dieses Jahr wird eine Steigerung von knapp zwei Prozent erwartet. Auch die Arbeitslosenrate wird langsam aber sicher nach unten (zuletzt auf 12,4 Prozent) gedrückt. Die Opposition hält mit ganz anderen Zahlen dagegen: Die «brutalen» Kürzungen und Steuererhöhungen hätten im 10,5-Millionen-Einwohnerland seit 2011 unter anderem zu einer Massenauswanderung von 500'000 Menschen geführt. Der Anteil der Arbeiter und Angestellten, die mit dem Mindestgehalt – 505 Euro pro Monat – auskommen müssen, sei von 11,3 (2011) auf 19,6 Prozent (2014) angestiegen. Die Krise sei «noch längst nicht vorbei», sagte jüngst Eugenio Fonseca, portugiesischer Präsident des katholischen Hilfswerks Caritas. |