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Einigung im Namensstreit Mazedonien: «Keine historische Ansprüche mehr»

Durchbruch in den Verhandlungen zwischen Griechenland und Mazedonien: Die Regierungen beider Länder haben sich auf eine Lösung im über 25 Jahre andauernden Namensstreit geeinigt. Mazedonien soll sich demnach Nord-Mazedonien nennen, um sich so von der gleichnamigen griechischen Region abzugrenzen. Journalistin Rodothea Seralidou zu den Einzelheiten.

Rodothea Seralidou

Freie Journalistin

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Die Journalistin berichtet seit 2011 für SRF und ARD aus Griechenland. Sie lebt in Athen.

SRF News: Es ist eine historische Entscheidung in einem langen Streit gefallen. Wie reagiert Griechenlands Presse darauf?

Rodothea Seralidou: Die regierungsnahen, linken Zeitungen sprechen von einem Durchbruch und einem historischen Ereignis, auch für die Stabilität in der Region. Die konservativen Zeitungen sprechen hingegen von einem Ausverkauf des Namens «Mazedonien» und kritisieren die griechische Regierung. Die griechische Presse ist also heute sehr gespalten, und jede Zeitung interpretiert die Entscheidung nach ihrer politischen Ausrichtung.

25 Jahre hat man um den Namen gestritten. Warum gelingt gerade jetzt eine Einigung?

Zum Einen sind in beiden Ländern Regierungen an der Macht, die das Thema offener angegangen sind als die Vorgängerregierungen. In Mazedonien ist eine sozialdemokratische, klar pro-europäische Regierung an der Macht; in Griechenland eine hauptsächlich linke Regierung.

Mazedonien darf sich nicht mehr auf Alexander des Grossen und die griechische Antike beziehen.

Und zum Anderen ist da der Wunsch von EU und Nato, so schnell wie möglich Beitrittsverhandlungen mit Mazedonien zu beginnen. Denn diese sind bisher immer am Namensstreit gescheitert. Diese günstige Konstellation hat eine Dynamik in die Verhandlungen gebracht, die letztendlich zur gestrigen Einigung geführt hat.

Mazedonien will seinen Namen in Republik Nord-Mazedonien ändern. Was sieht die Einigung sonst noch vor?

Die Bürger des Landes dürfen sich weiterhin Mazedonier nennen und die Sprache mazedonisch. Gleichzeitig soll Mazedonien klarstellen, dass das Land und seine Sprache mit dem antiken Makedonien nichts zu tun hat. Denn auch das war stets ein grosser Streitpunkt zwischen den beiden Ländern. Mazedonien darf also künftig keine historischen Ansprüche mehr stellen und sich nicht mehr auf Alexander des Grossen und die griechische Antike beziehen, wie das bisher der Fall war.

Ein weiterer Grund für den Namensstreit war ja, dass Griechenland territoriale Ansprüche seitens seines Nachbarn befürchtete, weil es auch eine gleichnamige Region gibt. Sind diese Ängste jetzt weg?

Auch in dem Punkt gibt es eine Verständigung zwischen den zwei Regierungen: Mazedonien muss in seiner Verfassung alle Passagen streichen, die solche Ansprüche legitimieren könnten. Das Land verpflichtet sich, anzuerkennen, dass es keine territorialen Anrechte gegenüber Griechenland hat.

Die Regierungen haben den Durchbruch in den Verhandlungen verkündet. Wie geht es jetzt weiter?

Jetzt wird die Vereinbarung erst einmal am Samstag feierlich unterzeichnet – und zwar symbolträchtig am See Prespes, durch den die Grenze zwischen Griechenland und Mazedonien geht. Im Herbst wird es in Mazedonien ein Referendum geben. Die Bevölkerung wird gefragt, ob sie diese Vereinbarung mitträgt oder nicht. Und danach muss die Verfassung geändert werden.

Es gibt noch wichtige Schritte, die gemacht werden müssen, bis wir sagen können: Der Namensstreit ist definitiv beigelegt.

Das wird wahrscheinlich der schwierigste Schritt. Denn die Regierung verfügt nicht über die nötige Zweidrittelmehrheit im Parlament. Erst danach will auch die griechische Regierung das Abkommen ihrerseits ins Parlament bringen. Es gibt also noch wichtige Schritte, die gemacht werden müssen, bis wir sagen können: Der Namensstreit ist definitiv beigelegt. Beide Regierungen zeigen aber den Willen, die Einigung auch umzusetzen.

Die Opposition stellt sich in beiden Ländern gegen die Vereinbarung. Warum?

Die mazedonische rechtskonservative Opposition ist der Meinung, dass die Regierung zu grosse Kompromisse eingeht. Sie stellt sich gegen die Einigung mit Griechenland. Die griechische, ebenfalls konservative Opposition findet ihrerseits, dass die griechische Regierung zu weit gegangen ist. Dieser Meinung ist auch der kleinere Koalitionspartner, die rechtspopulistische Anel. Die beiden Parteien finden, Mazedonien sollte überhaupt nicht in der Benennung des Nachbarlandes vorkommen, und dass die Einigung eine diplomatische Niederlage für Griechenland ist.

Für Mazedonien ist die Lösung im Namensstreit eine Voraussetzung für den EU- und den Nato-Beitritt. Wie realistisch ist es nun, dass diese Beitrittsverhandlungen demnächst anfangen?

Es ist zu erwarten, dass Mazedonien im Rahmen des kommenden EU-Gipfels Ende Juni eine Einladung bekommt, damit die Beitrittsverhandlungen anfangen. Das ist auch beim kommenden Nato-Gipfel im Juli zu erwarten. Denn sowohl die EU als auch die Nato sehen Mazedonien seit Langem als gewünschten Beitrittskandidaten.

Sowohl die EU als auch die Nato sehen Mazedonien seit langem als gewünschten Beitrittskandidaten.

Aber: Der Beitritt kann nur vollendet werden, wenn alle anderen Schritte gemacht werden, also wenn das Referendum stattfindet und die Verfassungsänderung vollzogen ist. Dies, um dadurch Griechenland die Garantie zu geben, dass Mazedonien seine Verpflichtungen auch umsetzt. Wenn die Mazedonier zum Beispiel im Referendum dagegen stimmen, sieht die Vereinbarung vor, dass die Beitrittsverhandlungen aufhören.

Das Gespräch führte Roger Aebli.

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