US-Präsident Donald Trump will die Türkei mit Wirtschaftssanktionen zu einem Ende der Militäroperation in Nordsyrien zwingen. Dies könnte die Türkei tatsächlich grössere Probleme bereiten, glaubt der Journalist Thomas Seibert.
SRF News: Wie schmerzhaft sind die von den USA angekündigten Strafzölle auf Stahlimporte aus der Türkei in Höhe von 50 Prozent für die türkische Wirtschaft?
Thomas Seibert: Die USA importierten letztes Jahr Stahl aus der Türkei im Umfang von rund 16 Mrd. Dollar – angesichts des Volumens der türkischen Volkswirtschaft von mehr als 700 Mrd. Dollar ist das an sich kein riesiger Betrag.
Trump will auch die Verhandlungen über ein Handelsabkommen abbrechen. Wie einschneidend ist das?
Das ist wesentlich ernster. Die USA sind eines der wichtigsten Exportländer für türkische Produkte – und die türkische Wirtschaft ist auf Exporte angewiesen. Trump und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hatten sich kürzlich darauf verständigt, den bilateralen Handel auszubauen – daraus wird vorerst nichts. Für die türkische Wirtschaft ist das ein schwerer Schlag, was sich auch am Wertverlust der türkischen Lira gegenüber dem Dollar zeigt.
Der miserable Zustand des türkischen Rechtsstaats hat schon bislang viele Investoren abgeschreckt.
Trump hatte kürzlich damit gedroht, die türkische Wirtschaft «völlig» zu zerstören und «auszulöschen». Gehen diese beiden Massnahmen in diese Richtung?
Da hat der amerikanische Präsident den Mund wohl etwas voll genommen, denn der Haupthandelspartner der Türkei ist immer noch die EU. Allerdings darf man die psychologische Wirkung der US-Sanktionen auf internationale Investoren nicht vergessen. Schon bisher hatte der miserable Zustand des türkischen Rechtsstaats Investoren abgeschreckt, jetzt kommen die Sanktionen hinzu. Die Wirtschaftskrise in der Türkei dürfte sich also durchaus verschärfen.
Die türkische Wirtschaft kriselt schon seit längerem. Welche Möglichkeiten hat Präsident Erdogan noch?
Im Moment hat er kaum eigene Möglichkeiten, ausser seine Politik zu ändern, damit ausländische Investoren wieder mehr Vertrauen fassen und in der Türkei investieren. Das ist aber kaum zu erwarten. Erdogan hat es sich mit vielen Partnern verdorben: Mit der EU, mit den USA, mit den meisten arabischen Staaten.
Erdogan muss seine Politik ändern, damit Investoren wieder Vertrauen fassen.
Erdogan mag darauf hoffen, dass Verbündete wie Katar einspringen. Das Emirat hatte Ankara im letzten Jahr eine Finanzspritze im Umfang von 15 Milliarden Dollar gewährt. Kaum in die Bresche springen wird Russland, das für die Türkei als Exportland jene Länder nicht ersetzen kann, die jetzt wegbrechen. Bei den Beziehungen mit Russland droht eher die Gefahr, dass sich die Türkei in eine Energie-Abhängigkeit begibt.
Wie reagiert die türkische Bevölkerung auf diese Entwicklung?
Die Stimmung in der Bevölkerung ist allgemein sehr schlecht – das dürfte einer der Gründe dafür sein, dass Erdogan den Angriff auf die Kurden in Nordsyrien überhaupt gestartet hat. Die Türken leiden unter hoher Inflation, die Lira ist immer weniger wert, Gas und Strom werden immer teurer. Viele Leute werden sich manche Dinge schon bald nicht mehr leisten können. Derzeit wird die schlechte Stimmung durch den Patriotismus wegen der Militäraktion überdeckt. Doch mittelfristig könnte der Schuss für Erdogan nach hinten losgehen.
Das Gespräch führte Claudia Weber.