Bundesregierung, Länder und Betreiber haben konkretisiert, wie sie bis spätestens 2038 aus der Kohleproduktion aussteigen wollen. In Berlin ist die Rede von einem «Durchbruch». Klaus Ammann von der SRF-Wirtschaftsredaktion hält das gesteckte Ziel aber für ungenügend.
SRF News: Umweltministerin Svenja Schulze sieht Deutschland als Vorreiterland in Sachen Kohleausstieg. Ist ihr Stolz berechtigt?
Klaus Ammann: Nein, das ich finde nicht. Man kann natürlich sagen, es ist fortschrittlich, dass Deutschland als erstes Land tatsächlich verbindliche Pläne hat, wie man sowohl aus der Atom- als auch aus Kohleenergie aussteigen will. Die Pläne selbst aber sind zum Beispiel aus Klimasicht völlig ungenügend.
Deutschland müsste spätestens 2030 definitiv aus der Kohle aussteigen.
Deutschland hat das Klimaziel 2020 verfehlt und wird das Klimaziel 2030 nur eventuell erreichen. Kurz: Wenn man die Pariser Klimaziele, das angestrebte 1.5-Grad-Ziel bei der Erwärmung, erreichen will, dann müsste Deutschland spätestens 2030 definitiv aus der Kohle aussteigen, und nicht erst 2038.
Auch die Atomkraftwerke in Deutschland sollen schrittweise abgestellt werden. Woher soll der Strom stattdessen kommen?
Einerseits aus erneuerbaren Energien. Sonne, Wind und Wasser liefern heute bereits 43 Prozent des deutschen Stroms. Bis 2030 sollen es 65 Prozent sein. Es ist also ein massiver Ausbau vorgesehen. Ob dieser so kommt, ist allerdings ungewiss. Auch in Deutschland stossen Windräder auf wachsenden Widerstand. Dann sind aber auch neue Gaskraftwerke geplant. Und Deutschland wird zumindest zeitweise mehr Strom importieren müssen.
Auch die Schweiz schwenkt immer mehr auf erneuerbare Energien um. Auch hier decken diese den Bedarf nicht. Wie soll das aufgehen?
Theoretisch geht das schon auf. Es gibt Berechnungen, die zeigen, dass genügend Strom aus Wind, Sonne und Wasser produziert werden kann, um ganz Europa mit Strom zu versorgen. Dieser Strom muss aber erstens verteilt werden können – dazu braucht es neue Infrastrukturen. Es braucht intelligente Netze, die schnell auf Schwankungen reagieren können.
Das ist noch nicht gegeben. Aber das ist machbar. Schwieriger wird die Speicherung: Es gibt zurzeit einfach noch zu wenig Kapazitäten, um Strom über längere Zeit zu speichern, sodass nach einer längeren sonnigen Phase auch ein zweiwöchiger Dauerregen in Europa überstanden werden kann.
Aber Sie sind zuversichtlich, dass uns der Strom nicht ausgeht?
Ja, eigentlich schon. Wenn die Weichen richtig gestellt werden, wird das System natürlich komplexer und damit zeitweise wohl auch anfälliger. Aber das Potenzial der erneuerbaren Energien ist enorm und wir haben auch noch viel Luft nach oben, um effizienter zu werden. Zumindest theoretisch wäre ein Kohleausstieg in Deutschland sogar noch früher möglich als vorgesehen.
Das Gespräch führte Patrick Seiler.