Staubig wirbelt der trockene Wüstensand über den Platz. Die Soldaten, die den Platz bewachen, haben ihre Gesichtsmasken bis tief unter die Augen hochgezogen. Gleich neben ihrem Panzer beugen sich drei junge Männer über ein Metallgerüst.
Sie errichten ein Wahlplakat. «So Gott will, werden wir Iraker bald eine neue Regierung haben. Wir hoffen auf einen Wechsel.» Mustafa al-Kohle ist einer der Spitzenkandidaten der sunnitischen Liste von Falludscha.
Falludscha, das ist diejenige Stadt im Irak, die zum Synonym geworden ist für Krieg und Terror, für Chaos und Zerstörung. Zwar liegt Falludscha nur rund 66 Kilometer von Bagdad entfernt. Doch Falludscha hat kaum etwas gemein mit der geschäftigen, kosmopolitischen Hauptstadt.
Die Bevölkerung ist zutiefst konservativ und dominiert von sunnitischen Arabern. Über den Strassen liegt ein permanenter Schleier von Anspannung und Trauer. Kein Wunder ob der Geschichte dieser Stadt.
«Wir setzen darauf, dass die Führung ausgewechselt wird.» Mustafa al-Kohle hat genug von den alten Gesichtern. Doch der sunnitische Politiker ist intelligent genug, nicht in die alten, sektiererischen Töne zu verfallen: «Wir Iraker haben alle darunter gelitten, dass uns unsere Politiker vernachlässigt haben. Wir alle litten unter sozialer Ausgrenzung, wir alle wurden ausgeschlossen.» Was er nicht sagt: die Sunniten fühlten sich noch etwas ausgeschlossener. Vor allem die Sunniten von Falludscha.
Jeder: der Politiker in seinem Büro, seine Wahlhelfer auf dem staubigen Platz, die Soldaten auf dem Panzer, alle tragen die Bürde der Vergangenheit dieser Stadt mit sich. Seit der Invasion der USA 2003 stand Falludscha immer wieder im Zentrum von Konflikten, welche die Infrastruktur der Stadt zerstört und ihre Bewohner mit tiefen Narben zurückgelassen haben.
«Wir brauchen einen Neuanfang.» Muafaq Fathel steht mit seinem achtjährigen Sohn in der Mitte seines Wohnzimmers. Die Türe hinter ihm führte früher in die Schlafzimmer. Heute öffnet sich hinter der Türe ein gähnendes Loch. «Als die Armee Anfang 2016 zum Sturm auf Falludscha ansetzte, wurde unser Haus bombardiert. Seitdem können wir nur noch in der einen Hälfte unseres Hauses wohnen. Die andere Hälfte liegt in Trümmern.»
Sein Neffe gesellt sich dazu. Der 23-jährige Yousif Hamed studiert Computerwissenschaften. Er schätzt, dass während des Krieges mehr als drei Viertel seines Quartiers zerstört worden seien.
«Wir haben momentan nicht genug Geld, um das ganze Haus wieder aufzubauen. Deshalb haben wir das Haus zweigeteilt. Wir haben bislang einfach denjenigen Hausteil wieder hergerichtet, der nicht komplett zerbombt war. Für diese Haus-Hälfte hier warten wir nach wie vor auf Kompensationszahlungen von der Regierung.»
Auch Yousif Hamed weiss, dass es kein Zufall war, dass der IS Falludscha Ende 2013 als erste grosse Stadt im Irak erobern konnte. «Viele Einwohner von Falludscha haben mit dem IS sympathisiert. Falludscha hat seit 2003 viele Kriege und Gewalt gesehen und unter den Regierungen in Bagdad gelitten.»
Doch das beginne sich nun zu ändern, sagt Hamed, unter sich den Trümmerhaufen des ehemaligen Familienhauses: «Wir Menschen in Falludscha sind heute offener gegenüber der Regierung in Bagdad. Und wir spüren mehr Sicherheit und Stabilität.»
Viele Elemente des Terrors in Irak kamen aus dieser Stadt hier.
Die Regierung von Bagdad gibt sich tatsächlich Mühe, ein freundliches Gesicht zu zeigen. Das Büro des neuen Polizeikommandanten ist voller blumiger Symbolik – im wahrsten Sinne des Wortes. Oberst Jamal Latif weiss, dass er hier nicht nur den Krieg gewinnen muss. Sondern auch den Frieden.
«Natürlich stehen immer noch Sicherheits-Bedenken an erster Stelle. Viele Elemente des Terrors in Irak kamen aus dieser Stadt hier.» Aber Latif und seine Polizisten wissen genau, wie wichtig es für den ganzen Irak ist, dass sich die Sunniten von Falludscha nicht mehr von den Schiiten von Bagdad und den von Bagdad befehligten Sicherheitskräften gegängelt fühlen.
«Bevor wir uns anderen Dingen zuwenden, müssen wir sichergestellt haben, dass von hier aus keine Terror-Operationen mehr gestartet werden. Aber dann müssen wir zum Beispiel das Gesundheitssystem verbessern, uns den sunnitischen Bedürfnissen zuwenden, der Universität in Falludscha. Denn nur so können wir die fundamentalistische Ideologie wirklich bekämpfen. Um unsere Städte zu befreien, müssen wir unsere Köpfe von Ideologien befreien.»
Die Zeichen stehen auf Verbesserung. Du hörst kaum mehr diese alten, sektiererischen Slogans.
Student Yousif Hamed widerspricht nicht. Und auch wenn er mitten in den Trümmern seines Elternhauses steht, so sieht er doch Anzeichen, dass es diesmal klappen könnte mit dem «neuen Irak»: «Die Zeichen stehen auf Verbesserung. Du hörst kaum mehr diese alten, sektiererischen Slogans. Natürlich, sie sind nicht ganz verschwunden, aber wir Einwohner von Falludscha wissen jetzt sehr genau, wie gefährlich sektiererische Sprache ist. Das Bewusstsein ist sehr hoch.»
Doch damit so etwas wie der IS tatsächlich nicht mehr geschieht, braucht es mehr als Hoffnung und Bewusstsein. Dazu braucht es Entwicklung – auf allen Ebenen.