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Entwicklungen in Nordsyrien «Die türkische Offensive ist ein Geschenk für Assad»

Seit Mittwoch führt die Türkei Krieg gegen die Kurden in der Selbstverwaltungszone Rojava, die auf syrischem Boden liegt. Dies komme dem syrischen Herrscher Baschar al-Assad zu Gute, sagt der Syrienkenner Daniel Gerlach.

Daniel Gerlach

Chefredaktor von «Zenith»

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Daniel Gerlach ist Mitherausgeber und Chefredaktor des Magazins «Zenith – Zeitschrift für den Orient». Gerlach studierte Geschichte und Orientalistik in Hamburg und Paris.

SRF News: Was bedeutet die türkische Offensive für den syrischen Regenten Baschar al-Assad?

Daniel Gerlach: Ich denke diese Offensive ist für Assad ein Geschenk. Eines, das er so nicht vorhersehen konnte und das ihm beschert wird, weil die internationalen Mächte, vor allem die Türkei, ihr eigenes Spiel spielen.

Weshalb sehen Sie dies als Geschenk an Assad?

Eigentlich wäre die Auseinandersetzung mit den kurdischen Kräften im Autonomiegebiet Rojava der letzte Showdown für das Assad-Regime gewesen. Diese Rebellen sind eine der militärisch stärksten Mächte gewesen und deswegen hat sich das Regime mit die Kurdenorganisation YPG zu Beginn des Konflikts taktisch verbündet, weil man wusste, dass man nicht alle Fronten gleichzeitig bedienen kann.

Wenn ein Teil der Bevölkerung in Assads Territorium fliehen sollte, dann kann dieser sagen: ‹Schaut her, die Menschen fliehen nicht vor mir, sondern sie fliehen zu mir.›

Nun fliehen Zehntausende aus diesen Gebieten. Kümmert das das Assad-Regime?

Das kümmert das Regime schon, aber möglicherweise auch im Sinne des politischen Nutzens. Denn das Regime bemisst seine Legitimität nicht nach Quadratkilometern Territorium, sondern nach Bevölkerung. Und wenn ein Teil der Bevölkerung aus dem Nordosten ins Assads Territorium fliehen sollte, dann kann er international sagen: «Schaut her, die Menschen fliehen nicht vor mir, sondern sie fliehen zu mir.» Er kann dann hoffen, dass ihn die internationalen Mächte unterstützen. Und das ist für das Regime zumindest vorerst eine Win-Win-Situation.

Profitiert das Regime davon, dass die Not im Land nun noch grösser wird?

Von der Not selber nicht, aber von ihren politischen Folgen. Und das ist ein ganz entscheidender Faktor. Es gibt ja Fronten, an denen das Regime noch kämpft. Zum Beispiel in der Provinz Idlib im Nordwesten. Dort ist das Regime nicht wirklich vorangekommen. Dass nun die ganze Aufmerksamkeit auf den Nordosten gelenkt wird und dass möglicherweise die Türkei ihre Unterstützung für Aufständische im Nordwesten aufgibt, um diese Truppen dann im Nordosten einzusetzen, ermöglicht dem Regime wiederum, in Idlib Erfolge zu zeitigen. Davon profitiert nicht nur das Regime, sondern auch seine Verbündeten, insbesondere Russland.

Karte
Legende: In den beiden Städten, die unter Kontrolle der syrischen demokratischen Kräfte stehen, leben überwiegen arabische Syrer. Die Orte sind ein wichtiges Ziel der türkischen Führung. Sie hofft, dass sich die Bevölkerung von der kurdischen Regionalverwaltung lossagt. SRF

Kann man sagen, der Frieden in Syrien sei noch weiter weggerückt?

Selbstverständlich und das liegt auch daran, dass die meisten der Konfliktparteien, insbesondere aber diejenigen, die derzeit die Entscheidungen treffen, am Frieden immer noch kein Interesse haben.

Das Gespräch führte Romana Costa.

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