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Ernüchterung in Frankreich Macrons Partei «En Marche» im Krebsgang

Austritte, Abgänge, Abspaltungen – die Partei des französischen Präsidenten hat ihren Schwung verloren.

Mit Politik hatten sie vorher nie was am Hut. Sie waren Studenten oder Lehrer, Unternehmer oder Handwerker. Doch sie liessen sich alle begeistern und mitreissen von der Energie des jungen ehemaligen Bankers Emmanuel Macron.

Die enthusiastischen ‹Marcheurs› (Marschierer), wie sich die Mitglieder der politischen Bewegung «La République en Marche» (LREM) nennen, weibelten von Tür zu Tür. Sie warben für neue Ideen, für pragmatische statt ideologische Lösungen – und schafften am Ende tatsächlich die demokratische Revolution. Der Aussenseiter wurde Präsident und die blutjunge Bewegung sicherte sich im Parlament eine komfortable Mehrheit.

Emmanuel Macron an einer Wahlkampfveranstaltung.
Legende: Begeisterung für Emmanuel Macron: Bei seiner Wahl zum Präsidenten florierte seine Partei. Reuters

Existenzielle Krise

Aus der gut geölten Wahlkampfmaschine ist inzwischen jedoch eine straff, um nicht zu sagen autokratisch, geführte Partei geworden. Von Ministern, Delegierten und Abgeordneten wird Kadavergehorsam verlangt.

«Seine Meinung zu sagen, wird als Verrat angesehen, wenn sie nicht konform ist», kritisiert die Abgeordnete Frédérique Dumas. Sie ist inzwischen zu ihrer früheren Partei UDI zurückgekehrt. Erst letzte Woche desertierten zwei weitere Abgeordnete, die unter der Etikette LREM gewählt worden waren, um sich einer neuen parlamentarischen Gruppierung anzuschliessen.

Aber auch die Basis, die eigentliche Ursuppe für Ideen und Vorstellungen von Macrons Politik, hat längst nichts mehr zu melden. Weder bei der Wahl in den Parteirat noch bei der Ernennung des Parteipräsidenten. Selbst an den nationalen Kongress vom Sonntag in Paris sind die «Marschierer» kaum präsent. Dabeisein darf nur, wer ausgelost wurde.

Diese Vertikalität der Macht kommt in der Horizontalen, bei der Basis, immer schlechter an. Enttäuscht, dass die schöne neue Welt aussieht wie die alte, desertieren ehemalige Weggefährten und Aktivisten in Massen.

Emmanuel Macron.
Legende: Ein offener Brief an Macron soll ihn von der Dringlichkeit überzeugen. Reuters

Von Marschierern zu Meuterern

Lucie Breugghe will nicht einfach gehen. «La République En Marche» müsse neu durchdacht und gestaltet werden. Die Hochschullehrerin und Marschiererin der ersten Stunde prangert an, dass die Partei die anfängliche Dynamik zerstört habe, indem der Basis bewusst demokratischen Rechte verweigert würden. «Wir Marschierer, wir Aktivisten haben in der Bewegung eigentlich überhaupt keinen Status», sagt sie.

Es pressiert! Sie brauchen uns Marschierer
Autor: Lucie Breugghe Mitglied von En Marche

In einem offenen Brief appelliert sie an Präsident Macron, dies zu ändern. Und mahnt zur Eile: «Es pressiert! Sie brauchen uns Marschierer für die Wahlen ins Europäische Parlament nächstes Jahr und auch für die Gemeindewahlen 2020 in Frankreich!»

Bei LREM spielt man die Krise herunter, man verzeichne immer noch jeden Monat 150 Neueintritte. 400'000 Mitglieder soll die parteigewordene Bewegung heute haben. Wobei allerdings ein Klick im Internet ausreicht, um gratis Mitglied zu werden.

Alexandra Gubser

Deutschland-Korrespondentin

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Alexandra Gubser ist seit Sommer 2022 Deutschland-Korrespondentin von SRF. Zuvor berichtete Gubser aus Frankreich. Sie ist seit 2007 für das Unternehmen als Produzentin, Redaktorin und Reporterin der «Tagesschau» tätig. Davor arbeitete sie für Medien wie «TeleZüri» oder «Radio 24».

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