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«In Mossul herrscht eine humanitäre Katastrophe»
Aus SRF 4 News aktuell vom 15.05.2017.
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Befreiung Mossuls stockt «Es ist die Hölle»

Bis Januar sei die Stadt befreit, hat Iraks Regierung versprochen. Doch gekämpft wird noch immer – auf Kosten der Zivilbevölkerung. Über die Lage in West-Mossul Journalistin Birgit Svensson.

SRF News: Wie kann die eingeschlossene Zivilbevölkerung im Westteil der Stadt Mossul überhaupt überleben?

Birgit Svensson: Ja, das frag ich mich auch. Es ist grausam, was da abläuft. Ungefähr 300'000 Menschen sind noch eingeschlossen und sie vegetieren dahin.

Wie steht es um die Lebensmittel- und medizinische Versorgung?

Es gibt überhaupt nichts mehr zu essen. Es gibt kein Wasser. Und Strom hat es auch keinen mehr. Deshalb müssten eigentlich Generatoren laufen, aber der Treibstoff ist auch ausgegangen. An medizinische Versorgung ist überhaupt nicht zu denken. Wenn jemand verletzt ist, muss man versuchen, ihn schnell aus West-Mossul oder den noch umkämpften Gebieten rauszubringen. Das ist aber sehr schwierig.

Es geschehen hier Grausamkeiten, die nicht zu überbieten sind.

Kann die Zivilbevölkerung überhaupt noch aus dem Westteil der Stadt fliehen?

Gestern habe ich mit jemandem gesprochen, der gerade aus dem Westen Mossuls kam. Und vor einer Woche sprach ich mit jemandem, der sich dort noch aufhält. Beide erklärten, man könne über den Tigris fliehen. Das geht, weil der Ostteil der Stadt befreit ist. Aber die Flucht über den Fluss ist sehr abenteuerlich, weil die Menschen auf dem Wasser beschossen werden könnten. Es ist auch möglich, in die nördlichen Teile der Stadt zu fliehen. Weil die irakische Armee vom Osten und Norden her angreift, können die Leute versuchen, zu den Soldaten der irakischen Armee zu fliehen.

Reden wir in Mossul von einer humanitären Katastrophe?

Ja, absolut. Es ist die Hölle in Mossul. Und es geschehen hier Grausamkeiten, die nicht zu überbieten sind. Man hat mir erzählt, dass Leute, die fliehen wollten, von den Kämpfern der Terrormiliz IS erschossen und an Strommasten aufgehängt worden seien. Andere würden absichtlich in ihren brennenden Häusern eingeschlossen, damit sie erstickten und verbrannten.

Rückeroberung von West-Mossul

Rückeroberung von West-Mossul
Im Sommer 2014 hatte die IS-Terrormiliz Mossul erobert. Inzwischen ist die nordirakische Stadt die letzte Hochburg der Dschihadisten im Land. Die Befreiungsoffensive der irakischen Armee, die von Jets der US-geführten Koalition unterstützt wird, dauert seit letztem Oktober. Ende Januar gelang es ihnen, den Ostteil der Stadt zurückzuerobern und die IS-Miliz zu vertreiben.
Im der dicht bebauten und bewohnten Altstadt im Westen Mossuls kommen die Befreier jedoch nur langsam voran. Mehrfach gab es Berichte über eine grosse Zahl ziviler Opfer, unter anderem bei Luftangriffen. Laut UNO-Schätzungen sind dort noch rund 400'000 Zivilisten eingeschlossen.

Der Druck auf die IS-Miliz steigt und sie kämpft immer erbitterter?

Das jedenfalls sagt die irakische Armee. Die Information ist mit Vorsicht zu geniessen, weil die Armee und ihre Verbündeten Siegesmeldungen brauchen. Ausserdem wollen sie jetzt schnell den Rest der Stadt befreien. Sie sagen, die IS-Miliz halte noch rund 20 Prozent von Mossul. Andere sprechen von noch 30 Prozent. In jedem Fall aber wollen sie Mossul in zwei Wochen befreit haben, weil dann der Ramadan beginnt. Im Fastenmonat dürfen auch die Soldaten tagsüber nicht essen und trinken. Zudem herrschen jetzt schon hohe Temperaturen, in Mossul ist es um die 40 Grad. Es wäre also fast unmöglich unter diesen Umständen weiterzukämpfen. Die Soldaten würden möglicherweise streiken oder fielen einfach um.

Wollen die IS-Milizionäre bis zum Schluss weiterkämpfen?

Manche sagen, die Kämpfer liefen der IS-Miliz scharenweise weg. Andere sagen, sie kämpften bis zum letzten Mann weiter. Als die IS-Miliz Mossul im Juni 2014 überrannt hatte, war sie nicht alleine. Es gab Männer in der Stadt, die ihr bei der Eroberung halfen. Das waren ehemalige Kämpfer der Armee von Ex-Diktator Saddam Hussein. Sie dachten, sie könnten dann gemeinsame Sache mit der IS-Miliz machen und die Stadt unter ihre Kontrolle bringen. Genau diese Leute kämpfen jetzt bis zuletzt. Wer jetzt türmt, das sind die ausländischen IS-Kämpfer. Denen wächst das Ganze über den Kopf. Aber die ehemaligen Saddam-Loyalisten und -Armeeangehörigen bleiben.

Wer jetzt türmt, das sind die ausländischen IS-Kämpfer. Denen wächst das Ganze über den Kopf.

Warum geht die Befreiung West-Mossuls so schleppend voran?

Vor sieben Monaten erklärte der irakische Premier Haider al-Abadi, «in drei Monaten sind wir fertig». Realistische Stimmen sagten jedoch schon damals, das werde nie klappen. Die irakische Armee und ihre Verbündeten haben sich schlicht verschätzt.

Das Gespräch führte Walter Müller.

Birgit Svensson

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Birgit Svensson

Die deutsche Journalistin lebt seit 13 Jahren in Bagdad und berichtet von dort für die «Zeit», Deutschlandradio, die Deutsche Welle und SRF.

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