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International «Es wurde nichts geschönt»

Die UNO hat rund die Hälfte ihrer Millenniumsziele nicht erreicht. Sanktionen für Länder, die ihre Hausaufgaben nicht machen, gibt es nicht. Trotzdem «haben die Millenniumsziele etwas bewirkt», sagt der Geschäftsleiter der Arbeitsgemeinschaft der sechs Schweizer Entwicklungsorganisationen.

SRF News: Die UNO hat etwa die Hälfte der Millenniumsziele verfehlt und zieht trotzdem eine positive Bilanz. Was meinen Sie dazu?

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Millenniumsziele: Nur halb erreicht und doch ein Erfolg?
aus Echo der Zeit vom 07.07.2015.
abspielen. Laufzeit 5 Minuten 42 Sekunden.

Peter Niggli: Positiv war der Prozess selber. Die UNO hat einen Weg gefunden, wie diese Ziele trotz der Unverbindlichkeit wirksam werden können. Es gab ja keine Sanktionen, um sie durchzusetzen. Aber es gab einen ‹Schönheitswettbewerb›. Es wurde jährlich festgestellt, «wir sind erst so und so weit, die Anstrengungen genügen nicht». Das hat doch in vielen Ländern Druck zur Erfüllung dieser Ziele aufgebaut.

Es sind die Ziele erreicht worden, von denen man schon im Jahr 2000 wusste, dass sie möglich sind. Zum Beispiel die Halbierung der bittersten Armut. Man ging damals davon aus, dass wenn China im gleichen Tempo wächst, es das sozusagen im Alleingang schaffen wird. Und das war auch der Fall.

Bei der Gesundheit wurden die Ziele nicht erreicht.
Autor: Peter Niggli Geschäftsleiter von Alliance Sud

Andere Ziele waren anspruchsvoller. Man hat sie weniger gut erreicht. Das sieht man besonders deutlich bei der Gesundheit. Die Infektionsrate bei Malaria zum Beispiel lässt sich durch die Verteilung von imprägnierten Moskitonetzen relativ einfach senken – und das ist geschehen. Schwieriger ist es, ein ganzes Gesundheitssystem regional zu vernetzen und so aufzubauen, dass es taugt. Das wäre aber notwendig gewesen, um die Müttersterblichkeit zu senken, wie es die Ziele vorsahen. Diese Ziele sind nicht erfüllt. Das ist härtere Arbeit, das ist typische Entwicklungsarbeit, dazu hat es nicht gereicht.

Peter Niggli

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Legende: Keystone

Peter Niggli wurde 1950 geboren. Bis 1998 arbeitete er als freier Journalist für verschiedene Medien. Niggli ist Autor diverser Bücher zur Schweizer Politik, Afrika und Globalisierung. 1998-2015 war er Geschäftsführer von «Alliance Sud», der gemeinsamen Entwicklungsorganisation sechs grosser Schweizer Hilfswerke.

Viele sagen, die UNO hätten diesen Schönheitswettbewerb zusätzlich geschönt, indem sie als Basis die Zahlen von 1990 genommen hat. Damit konnte sie die Erfolge von China mit einrechnen.

Es wurde nicht geschönt. Alle wussten im Jahr 2000, dass 1990 das Ausgangsjahr war. Als man die Ziele formulierte, kannte man den rasanten Industrialisierungsprozess in China und wusste: Es bestehen grosse Chancen, dass sich das auch auf die ärmste Landbevölkerung auswirkt. Das ist geschehen. Andere Ziele waren anspruchsvoller: Zum Beispiel, dass alle Kinder, auch Mädchen, bis ins Jahr 2015 eingeschult werden. Das hat in Schwarzafrika zum Beispiel zu gewaltigen Einschulungsraten geführt. Dort ist viel investiert worden – durch die Regierungen, unterstützt durch Entwicklungsgelder.

Die Millenniumsziele haben etwas bewirkt.
Autor: Peter Niggli Geschäftsleiter von Alliance Sud

Dasselbe trifft auf das Trinkwasser zu. Das Ziel, dass man den Anteil von Menschen, die keinen Zugang zu sauberem Wasser haben, halbieren will, hat man erreicht. Kurz, die Millenniumsziele haben etwas bewirkt. Viele UNO-Schlussdokumente ruhen sanft, weil sie nicht verbindlich sind und keinen Schönheitswettbewerb in Gang setzen.

Und das war der Motor, der den Prozess angetrieben hat?

Ja. Das zeigte sich zum Beispiel beim letzten Ziel «Mehr Entwicklungshilfe». Das war die einzige Verpflichtung, die die Industriestaaten eingegangen sind. Nach mehreren Jahren stellte die UNO fest: «Ihr tut nichts, so geht es nicht.» Das hat dazu geführt, dass die EU-Finanzminister 2005 diese 0,7 Prozent als Ziel für 2015 beschlossen haben. Das wiederum setzte die Schweizer Regierung unter Druck. Und wir, Alliance Sud und die Schweizer Hilfswerke, konnten das nutzen, um zumindest eine Erhöhung des Budgets auf 0,5 Prozent durchzusetzen.

Es gibt keine Sanktionen, aber diese jährlichen Bilanzen haben für genügend öffentlichen Druck gesorgt?

Es ist für ein reiches Land wie die Schweiz lästig, wenn andere sagen: Ihr könntet es euch doch eigentlich leisten, warum tut ihr nichts? Es war zudem aussenpolitisch in vielen Entwicklungsländern angenehm, wenn man ein bisschen etwas in diese Richtung unternahm, statt sozusagen am Schlusslicht dieser Entwicklung zu stehen.

Und in vielen Ländern haben zivilgesellschaftliche Bewegungen Druck auf die Regierungen ausgeübt und gefordert: «Tut etwas, im Bildungssektor oder im Gesundheitssektor». Das hat Früchte getragen.

Sie beurteilen den Nachfolgeprozess der «Nachhaltigen Entwicklungsziele» positiv. Warum?

Man kopiert hier das Verfahren der MDG, weil man dachte, dass es gewisse Fortschritte gebracht hat. Aber inhaltlich kommen nun zwei Stränge zusammen, die seit langem von der UNO behandelt werden. Auf der einen Seite das Entwicklungsthema, die grosse Kluft bei den Lebenschancen zwischen Nord und Süd. Und auf der anderen Seite alles, was seit den Neunzigern unter dem Stichwort «Nachhaltige Entwicklung» bei der UNO verhandelt worden ist.

Da geht es um Umwelt, um soziale und wirtschaftliche Themen. Man kann ja nicht sagen, dass unser Wirtschaftssystem nachhaltig wäre. Die SDG sollen diese beiden Prozesse zusammen bringen, um vor allem auch im Bereich der Wirtschafts- und Umweltziele Fortschritte zu erreichen.

Neu werden bei den «Nachhaltigen Entwicklungszielen» auch die Industrieländer verpflichtet. Wie wird das den Prozess ändern?

Beachtlich. Die Schweiz muss in den nächsten Jahren überlegen, wie sie die SDG innenpolitisch erreichen will. So ist es zum Beispiel ein Ziel, dass die Ungleichheit innerhalb den Ländern und die Ungleichheit zwischen den Ländern reduziert werden soll. Konkret soll in jedem Land bei 40 Prozent der ärmsten Schichten das Einkommen stärker wachsen als beim Rest der Bevölkerung.

Das wird auch die Schweiz nicht so einfach erreichen – wenn man nichts tut. Diese Ziele betreffen jetzt alle. Sie werden in einem jährlichen Prozess durch die UNO begleitet werden.

Ob etwas geschieht, wird davon abhängig sein, ob zivilgesellschaftliche Bewegungen dafür kämpfen, dass die Verpflichtungen umgesetzt werden.
Autor: Peter Niggli Geschäftsleiter von Alliance Sud

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