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Fischerei nach dem Brexit Seerechtler: «Ohne Deal können alle Seiten Schaden davontragen»

Eigentlich geht es wirtschaftlich um sehr wenig. Trotzdem ist die Fischerei eine der grössten Knacknüsse bei den Brexit-Verhandlungen. Dies, weil Boris Johnson künftig jedes Jahr neue Fangquoten festlegen will, wie Valentin Schatz, Experte für internationales See- und Fischereirecht erklärt.

Valentin Schatz

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Valentin Schatz ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand am Lehrstuhl für Internationales Seerecht und Umweltrecht, Völkerrecht und Öffentliches Recht an der Universität Hamburg. Er ist zudem Mitarbeiter des Instituts für Seerecht und Seehandelsrecht.

Schatz forscht überwiegend zum internationalen Seerecht, zum internationalen Umweltrecht und zur internationalen Gerichtsbarkeit. Sein Promotionsprojekt beschäftigt sich mit dem internationalen Fischereirecht.

SRF News: Warum ist eine Einigung zwischen der EU und Grossbritannien beim Thema Fischerei so schwierig?

Valentin Schatz: Das liegt an der grossen Symbolkraft, die die Fischerei für die Frage der britischen Souveränität hat – jedenfalls im nationalen Diskurs. Es ist weltweit so, dass die Fischerei für Kontrolle über nationale Gewässer und Ressourcen steht.

Boris Johnson will Fischquoten jedes Jahr neu verhandeln

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Grossbritannien möchte einerseits bei den Fangmengen differenzieren, in welchen Gewässern die Fische gefangen werden. Premierminister Boris Johnson besteht zudem darauf, dass die Quoten jedes Jahr neu verhandelt werden, so dass die nationalen Interessen Grossbritanniens auch jedes Jahr neu berücksichtigt werden. Genau das möchte aber die EU nicht. «Sie hätte gerne langfristige Zusagen, auf die sie sich auch verlassen kann. Nicht, dass es jetzt zu einem Kompromiss kommt – und nächstes Jahr sagen die Briten, dass sie überhaupt keine Quoten mehr hergeben wollen», so Schatz.

In Grossbritannien kursiert auch das Schlagwort des unabhängigen Küstenstaats, in dem die Briten selbst darüber bestimmen, wer die Ressourcen in britischen Gewässern bekommt, und nicht die EU.

Wie ist die Fischerei in der Nordsee im Moment geregelt?

Das Vereinigte Königreich ist noch Teil der gemeinsamen Fischereipolitik der EU. In den 70er-Jahren, beim EU-Beitritt, hat man einen Verteilschlüssel entworfen, dem es zugestimmt hat. Damals hat man die Fischereimengen als Referenzwert genommen – zum Beispiel 20 Prozent einer bestimmten Fischart für Deutschland. Diese Referenzmengen wurden in dem Verteilschlüssel auf Dauer festgelegt.

In den 70er-Jahren hat man einen Verteilschlüssel entworfen, dem es zugestimmt hat.

Das heisst: Auch jetzt, unabhängig davon, wie viel insgesamt gefangen werden darf, bekommt jeder Staat immer noch den gleichen Prozentanteil der Bestände, den er damals bekommen hat.

Grossbritannien will einen neuen Verteilschlüssel. Wie sieht dieser aus?

Die Briten würden das sehr starre System der relativen Stabilität gerne nachverhandeln. Sie möchten eine Berechnungsmethode, die darauf abstellt, wie viele Fische sich in wessen nationalen Gewässern aufhalten. Das würde ein ganz anderes Ergebnis für die Fangmengen bringen, als das aktuell der Fall ist – also viel mehr für Grossbritannien und viel weniger für die anderen Staaten.

Also kann man sagen: Grossbritannien hat in den 70ern schlecht verhandelt?

Aus heutiger Sicht, und damals haben es wohl auch schon einige so gesehen, ja. Aber die Fischerei war ja immer nur ein Teil eines grossen Pakets beim EU-Beitritt.

Wenn der neue Verteilschlüssel der Briten scheitert, tritt Völkerrecht in Kraft. Wie sähe das aus?

Völkerrechtlich betrachtet haben die Briten eine sehr starke Position. Sollte es zu einem harten Brexit kommen, dann dürften die Schiffe der EU-Staaten schlicht nicht mehr ohne Zustimmung Grossbritanniens in seinen Gewässern fischen. Es gäbe nur sehr schwache Verpflichtungen im Hinblick auf mögliche Überschüsse.

Keine Einigung zwischen der EU und Grossbritannien wäre höchst problematisch für die EU-Industrie.

Diese müsste Grossbritannien mit anderen Staaten teilen, wobei es sich aussuchen dürfte, mit wem es diese teilt. Wenn dennoch Schiffe von EU-Mitgliedsstaaten dort fischen, ist es illegale Fischerei. Darum wäre keine Einigung zwischen der EU und Grossbritannien höchst problematisch für die EU-Industrie.

Also: Die EU steht unter Druck und die Briten können zuwarten?

Ja. Auf der anderen Seite: Wenn es bei der Fischerei keine Einigung gibt, könnte es auch sein, dass in anderen, für Grossbritannien wichtigen Punkten auch keine Einigung zustande kommt, und dass dadurch alle Seiten einen ökonomischen Schaden davontragen. Darum kann ich mir gut vorstellen, dass es auch im Falle eines harten Brexit noch Übergangsregelungen geben könnte, die zumindest eine einigermassen geordnete Fischerei ermöglichen.

Das Gespräch führte Beat Soltermann.

Echo der Zeit, 2.12.2020, 18 Uhr ; 

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