Zum Inhalt springen

Flüchtlingsschiff «Aquarius» Spanien – der neue humanitäre Leuchtturm Europas?

Die Irrfahrt der «Aquarius» dauert an – und auch diejenige der europäischen Migrationspolitik. Nun prescht Madrid vor.

Es ist ein Sinnbild für die Irrungen und Wirrungen der europäischen Migrationspolitik: Das Rettungsschiff «Aquarius» ist auf der Suche nach einem sicheren Hafen. Italien machte seine Häfen für das Schiff dicht, Malta ebenfalls. Spanien hingegen sagt: «Komm zu uns!»

Das überrascht. Denn bislang war Spanien nicht eben als humanitärer Leuchtturm bekannt, den Flüchtlingsboote zielsicher ansteuern. Im Gegenteil: «Die Regierung Rajoy hat eine Abschreckungspolitik betrieben», sagt SRF-Auslandredaktor Martin Durrer.

Just als sich die Menschen an der libyschen Küste sammelten, die nun auf der «Aquarius» ausharren, versank Spanien in einer politischen Krise. Ein Korruptionsskandal stürzte die konservative Regierung um Mariano Rajoy.

Nun regieren die Sozialisten, und sie schlagen ungewohnte Töne an: «Es ist unsere Pflicht zu helfen, um eine humanitäre Katastrophe zu vermeiden», sagte Spaniens neuer Ministerpräsident Pedro Sànchez. Er wolle mit der Aufnahme der Flüchtlinge auch die Solidarität mit Europa bekräftigen.

Martin Durrer

Auslandredaktor, SRF

Personen-Box aufklappen Personen-Box zuklappen

Martin Durrer arbeitet seit 1989 bei Radio SRF. Er war unter anderem als Leiter der Auslandredaktion tätig und berichtete aus Lateinamerika mit Sitz in Buenos Aires.

Durrer bestätigt, dass die neue Regierung in Madrid ein politisches Signal nach Brüssel aussenden will. Nämlich, dass sie zuverlässige Partner seien und ihren Beitrag in der europäischen Flüchtlings- und Migrationspolitik leisten möchten.

Die neue spanische Regierung kann solche schwierigen Bereiche wie die Migrations- und Flüchtlingspolitik nicht einfach neu entwerfen.
Autor: Martin Durrer Auslandredaktor von SRF

Auf eine Sonderbehandlung dürfen die Passagiere der «Aquarius» aber nicht hoffen. Der spanische Innenminister Fernando Granda-Marlaska sagte, die Flüchtlinge würden behandelt wie alle anderen, die spanischen Boden erreichen.

Durrer erklärt, was das heisst: Keiner der Ankömmlinge hat von vornherein einen Flüchtlingsstatus. Sie unterliegen dem normalen spanischen Asylprozess; wie etwa auch Migranten, die über den Grenzzaun der spanischen Enklaven Ceuta und Melilla klettern oder über die Meerenge von Gibraltar ins Land gelangen.

«Eine lange und absurde Überfahrt»

Box aufklappen Box zuklappen

Die Odyssee des Rettungsschiffs «Aquarius» auf dem Weg nach Spanien geht weiter. Wegen schlechten Wetters und bis zu vier Meter hohen Wellen musste das Schiff seine Route auf dem Weg ins spanische Valencia ändern. Mindestens 80 ohnehin erschöpfte Migranten mussten behandelt werden, weil sie seekrank waren, wie die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen mitteilte. Die «Aquarius», die mit zwei italienischen Schiffen Kolonne fährt, befand sich am Donnerstag nahe der Ostküste Sardiniens.

Noch ist unklar, wann genau die «Aquarius» den spanischen Hafen erreicht. Samstagabend oder Sonntagmorgen könnte es soweit sein. «Sie sind seit Tagen auf See, auf einer langen und absurden Überfahrt nach Spanien», sagte Claudia Lodesani, Präsidentin von Ärzte ohne Grenzen in Italien. (dpa)

Dass sich mit der Regierung Sànchez ein radikaler Kurswechsel in der spanischen Flüchtlingspolitik einstellt, glaubt Durrer nicht. Der Entscheid für die humanitäre Geste, die «Aquarius» anlegen zu lassen, sei in aller Eile gefällt worden. Er sei nicht Ausdruck einer wohlüberlegten, neuen Flüchtlingspolitik.

Beschränkte Handlungsfähigkeit der Regierung

Zudem habe Regierung nur einen Viertel der Parlamentssitze, gibt Durrer zu bedenken: «Sie kann solche schwierigen Bereiche wie die Migrations- und Flüchtlingspolitik nicht einfach neu entwerfen. Sie muss überall nach Stimmen für eine Mehrheit suchen – und dazu wird diese Regierung nicht in der Lage sein», prognostiziert Durrer.

Migranten auf der «Aquarius»
Legende: Die Migranten auf der «Aquarius» sind weiter auf hoher See. Spanien will ihnen einen sicheren Hafen bieten. Fürs erste. Reuters

Ein flüchtlingsfeindliches Klima in der spanischen Bevölkerung kann der SRF-Auslandredaktor allerdings nicht bestätigen. Im Gegenteil: Es gebe eine grosse Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung, und in vielen links regierten Städten würden Transparente mit der Aufschrift «Refugees welcome» («Flüchtlinge willkommen») an den Rathäusern hängen.

Mit Widerstand gegen die humanitäre Geste der neuen Regierung rechnet Durrer damit kaum: «Es gibt eine Haltung in der Bevölkerung die besagt, dass man nun offen sein muss.» Dass aus Spanien ein «Wind of Change» in der Flüchtlingspolitik herüberweht, dürfte aber unwahrscheinlich sein.

Meistgelesene Artikel