- Folter war in Tunesien während der Diktatur in den Gefängnissen Alltag. Offiziell hat das Land Folterpraktiken seither abgeschafft.
- Unmittelbar nach der Revolution hat Tunesien die Internationale Konvention gegen Folter unterzeichnet – und vor einem Jahr eine unabhängige Behörde geschaffen, die das Verbot der Folter überwachen soll.
- Trotz guter Vorsätze sind Folterpraktiken aus tunesischen Gefängnissen nicht verschwunden, sagt die Präsidentin dieser Instanz, die zurzeit die Schweiz besucht.
Folter war in Tunesien eine der tragenden Säulen der Diktatur. Das zeigt schon die Arbeit der Vergangenheitskommission. Von den 60'000 Fällen, die von der Kommission untersucht werden, geht es in einem Drittel um Folter oder um Folter-ähnliche Praktiken.

«Folter war ein Teil des Systems», sagt Hamida Dridi, die Präsidentin der Instanz, die Folterpraktiken in Tunesien verhindern soll. Unter der Diktatur Ben Ali hätten Polizei und Sicherheitsdienste Foltermethoden gezielt eingesetzt – gegen unliebsame Politiker zum Beispiel, gegen Islamisten, gegen andere Gegner des Regimes.
Diese Praktiken seien zwar verschwunden, sagt Dridi. Aber gefoltert werde in tunesischen Gefängnissen noch immer.
Ich habe immer noch Albträume von der Folter, die ich aushalten musste. Sie haben mich geschlagen, bis meine Zehennägel abfielen.

Der Diktator ist weg, seine Adjutanten nicht
Die Folterpraktiken bestätigt auch ein Bericht, den die Menschenrechtsorganisation Amnesty International , Link öffnet in einem neuen Fensterim Browser öffnensoeben publiziert hat. Über 20 Fälle, sind hier dokumentiert – und Dridi glaubt auch, dass er zutrifft.
Auf der Oberfläche habe sich das Land nach der Revolution verändert: «Der Diktator ist verschwunden. Tunesien macht einen demokratischen Prozess durch. Der Präsident will Reformen – aber die Administration ist geblieben», sagt Dridi. Diese Administration sei im Moment das grösste Problem in Tunesien: Sie blockiere vieles.
Demokratie, Terror und die Grenzen der Freiheit
Nach offiziellen Angaben der Regierung kämpfen rund 3000 Tunesier aufseiten von Terrororganisationen wie dem Islamischen Staat (IS) oder Al-Kaida im Ausland. Die Vereinten Nationen gehen von mehr als 5000 Kämpfern aus, amerikanische Denkfabriken teils von mehr als 7000. Das kleine nordafrikanische Land ist der grösste Exporteur von islamistischen Kämpfern. Dabei hat Tunesien, das «Mutterland des Arabischen Frühlings», als einziges Land der Region den Wandel hin zu einer parlamentarischen Demokratie geschafft. |
Auch in Tunesien selbst schlägt der islamistische Terror zu: Beim Anschlag auf das Bardo-Museum in Tunis sterben im März 2015 mehr als 20 Touristen. Ein paar Monate später tötet ein Attentäter knapp 40 Touristen an einem Badestrand nahe Sousse. Im März 2016 versuchen IS-Kämpfer, die tunesisch-libysche Grenzstadt Ben Guerdane zu überrennen. Bei den Gefechten und Strassenkämpfen sterben Dutzende Islamisten und Sicherheitskräfte. (dpa) |
So gibt es inzwischen die Unabhängige Instanz gegen Folter, die Dridi präsidiert. Sie ist an keine Weisungen gebunden, kann Gefängnisse ohne Anmeldung besuchen. Aber mangels eines richtigen Budgets ist ihre Behörde auf die Verwaltung angewiesen. Die Präsidentin arbeitet zwar Vollzeit, aber ehrenamtlich. Die pensionierte Ärztin kann sich dies nur dank einer Rente leisten.
Ich fühle mich, als würde ich in einem Käfig leben – in ständiger Angst.

Die guten Vorsätze aus der viel gelobten tunesischen Verfassung und den Gesetzen sind noch längst nicht umgesetzt. Im Moment werde Folter sogar wieder häufiger: Polizei und Sicherheitsdienste würden dies mit der Terrorgefahr durch Dschihadisten begründen.
Dabei sei erwiesen, dass so nur Nachwuchs für die Dschihadisten gefördert werde, sagt Dridi: «Eine Lösung gegen den Terrorismus ist dies nicht. Viel wichtiger wäre nach Dridis Überzeugung der Kampf gegen die tiefe Wirtschaftskrise, in die ihr Land bereits vor der Revolution gestürzt ist.
Eine Krise, die vor allem junge Leute mit höherer Schuldbildung betrifft – die keine Arbeit finden, wie Untersuchungen zeigen. Junge Leute, die unter Dschihadisten überdurchschnittlich stark vertreten sind.
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