SRF News: Was war Ihr erster Gedanke, als Sie hörten, dass Frauen in Saudi-Arabien bald selber am Steuer sitzen dürfen?
Elham Manea: Ich bin sehr glücklich. Die ganze Arbeit – vor allem von Frauen in Saudi-Arabien – hat etwas bewirkt.
Die berühmte saudische Aktivistin Manal Al-Sharif, hat getwittert, Saudi Arabien werde nie mehr so sein, wie zuvor. Teilen Sie diese Einschätzung?
Ja. Man merkt, dass die neue Führung den jungen Männern und Frauen in Saudi-Arabien mehr Freiheiten zugestehen will. Schliesslich sind 60 Prozent der Bevölkerung im Land unter 21-jährig.
Wie steht es grundsätzlich um die Rechte der Frauen in Saudi-Arabien?
In den letzten Jahren haben die Frauen tatsächlich mehr Raum erhalten. 2015 konnten sie erstmals wählen, jetzt können sie bald Auto fahren. Damit wird ihnen die Möglichkeit gegeben, sich innerhalb des Landes autonom zu bewegen und zu arbeiten. Zudem brauchen die Frauen nicht mehr für alle Tätigkeiten eine Erlaubnis ihres Vormunds. Das ist eine positive Veränderung.
Seit 1979 hatte das Regime eine Re-Islamisierung forciert, jetzt bewegt sich das Pendel zurück.
Eine grosse Rolle bei der zaghaften Liberalisierung spielt offenbar Kronprinz Mohammed bin Salman. Hatte er bloss eine späte Einsicht oder sind auch wirtschaftliche Gründe für seine Entscheide verantwortlich?
Die Wirtschaft spielt bestimmt auch eine Rolle. Wichtiger aber ist der Abbau an islamistischer Kontrolle, die in letzter Zeit vonstattenging. Die letzten Verhaftungen betrafen Anhänger der Muslimbruderschaft. Es ist dies ein Zeichen für eine Richtungsänderung: Seit 1979 hatte das Regime eine Re-Islamisierung forciert, jetzt bewegt sich das Pendel zurück.
In einer freien Wahl kämen wohl die Salafisten an die Macht.
Was bedeutet es, wenn das saudische Königshaus den Konflikt mit einflussreichen wahabitischen Klerikern im Land wagt?
Der Kronprinz steht nicht für sich allein, und er wird nicht von allen Mitgliedern seiner saudischen Familie gleich stark beliebt. Wohl auch deshalb versucht er, mit solchen Massnahmen die Unterstützung der jungen Saudis zu gewinnen Allerdings stellt sich tatsächlich die Frage, wie weit er dabei gehen kann. Denn der saudi-arabische Staat gründet auf der Allianz zwischen der Königsfamilie Saud und dem wahabitischen Establishment. Wenn bin Salmann nun gegen dessen Willen Entscheide trifft und dessen Unterstützung abnimmt, verliert seine Herrschaft an Legitimation.
Inwiefern muss die angekündigte Aufhebung des Frauen-Fahrverbots als blosses Zeichen – auch ans Ausland – gesehen werden, um Fortschrittlichkeit zu demonstrieren?
Tatsächlich hat das Frauen-Fahrverbot dem Image Saudi-Arabiens schwer geschadet. Das Königreich ist das einzige Land der Welt, in dem Frauen nicht Auto fahren dürfen. Nun wird dieses Image zwar etwas aufpoliert. Doch so lange die politische Opposition, die friedlich Veränderungen wie Meinungs- und Religionsfreiheit verlangt, eingesperrt bleibt, sind alle diese Reformen blosse Kosmetik.
Stimmen Sie also der renommierten saudischen Anthropologin Madawi Al-Rasheed von der London School of Economics zu, die schreibt: «Frauen am Steuer schön und gut – aber Saudi-Arabien braucht eine gewählte Regierung, nicht einen absoluten Monarchen»?
Sie liegt damit 100 Prozent richtig. Eine echte Reform bedingt eine gewählte Regierung. Die Frage stellt sich bloss, wer bei einer Wahl an die Regierung käme: Das wären wohl die Salafisten.
Das Gespräch führte Samuel Wyss.