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Frauenrechte in Indien Sex in indischen Kinderehen gilt nun als Vergewaltigung

Geschelchtsverkehr mit einer Minderjährigen ist nun in Indien strafbar, auch wenn sie die eigene Ehefrau ist. Das hat das Oberste Gericht entschieden. SRF-Indienkorrespondent Thomas Gutersohn erklärt die Hintergründe.

Thomas Gutersohn

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Thomas Gutersohn hat in Genf Internationale Beziehungen studiert und arbeitet seit 2008 bei Radio SRF. Ab 2012 berichtete er als Korrespondent aus der Westschweiz. Seit 2016 lebt er im indischen Mumbai und berichtet für SRF aus Indien und Südasien.

SRF News: Warum werden in Indien so viele minderjährige Mädchen verheiratet?

Thomas Gutersohn: Das hat mit alten Gesellschaftsbildern zu tun, die haften geblieben sind. Es geht um die soziale Sicherheit. Frauen durften früher ja nicht arbeiten und deshalb mussten sie so schnell wie möglich verheiratet werden, um der Familie nicht zur Last zu fallen. Vor allem auf dem Land sind diese Gesellschaftsbilder noch weit verbreitet. In den Städten und Agglomerationen ändert sich das. Frauen sehen sich durchaus auch in der Arbeitswelt. Bildung und der höhere Stellenwert der Frauen haben sicher auch einen Einfluss.

Das jetzige Urteil des Obersten Gerichts Indiens schützt minderjährige Frauen vor Vergewaltigung?

Es zieht eine logische Schlussfolgerung. Es sagt, dass Sex mit Minderjährigen so oder so verboten ist und dass es keine Rolle spiele, ob die Minderjährige verheiratet sei oder nicht. Das oberste Gericht ist sehr pragmatisch. Es könnte argumentieren, dass es gar kein Problem gebe, denn Kinderheiraten seien sowieso verboten. Aber das Gericht weiss, dass immer noch viele Minderjährige verheiratet werden. Es sagt nun, dass Kinderehen nicht nur zivilrechtlich verboten sind, sondern zu einem Strafrechtstatbestand werden.

Die minderjährige Ehefrau muss Anklage erheben, sie muss ihren Ehemann der Vergewaltigung bezichtigen. Das ist der springende Punkt.

Wie wirkt sich das Urteil aus? Wird es weniger Kinderehen geben deswegen?

Das ist natürlich die Hoffnung. Das Urteil hat bestimmt eine abschreckende Wirkung. Bisher drohten einem Mann nur geringe Haftstrafen oder Bussen auf zivilrechtlicher Ebene, wenn er eine Minderjährige geheiratet hat. Nun könnte er dafür lebenslänglich ins Gefängnis kommen, wenn seine Frau sagt, sie sei vergewaltigt worden. Aber das ist genau der springende Punkt: Die minderjährige Ehefrau muss Klage einreichen. Sie muss ihren Ehemann der Vergewaltigung bezichtigen. Das ist in Indien immer noch ein grosser Schritt.

Auf Vergewaltigungen in Ehen, bei denen beide Partner volljährig sind, hat dieses Urteil keinen Einfluss?

So ist es. Eine Ehe ist in Indien immer noch eine rechtliche Tabuzone. Eine Frau kann sich zwar scheiden lassen. Sie kann aber keine Anzeige wegen Vergewaltigung einreichen. Ihr Körper ist nach wie vor Eigentum ihres Mannes.

Es wäre der nächste logische Schritt, Sex ohne Einverständnis der Ehefrau grundsätzlich für strafbar zu erklären.

Kann es sein, dass sich das in absehbarer Zeit ändert?

Ja, da ist ein Wandel in Gang. Vergewaltigungen werden heute generell strenger bestraft. Der Fall einer grausamen Gruppenvergewaltigung mit Mord an Studentin 2012 hat massgeblich zu diesem Bewusstseinswandel beigetragen. Es wäre der nächste logische Schritt, Sex ohne Einverständnis der Ehefrau grundsätzlich für strafbar zu erklären.

Das Gespräch führte Simon Leu.

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