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Cinque Stelle in Italien: Wer Kritik übt, ist weg
Aus Rendez-vous vom 08.09.2017. Bild: Keystone
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«Cinque Stelle» in Italien Fünf Sterne und noch mehr leere Versprechen

In Rom und Turin ist die Protestbewegung des Komikers Beppe Grillo an den Schalthebeln der Macht. Sie tut sich schwer.

  • Die italienischen Grossstädte Rom und Turin haben eines gemeinsam: Sie werden seit gut einem Jahr von der Protestbewegung des Ex-Komikers Beppe Grillo regiert.
  • Dabei ist oft von Rom die Rede und davon, wie schwer sich die Protestbwegung dort mit dem Regieren tut.
  • Doch auch in Turin besteht eine Kluft zwischen Wahlkampfversprechen und Realität.

Vallette ist ein Quartier weit draussen, am Rande Turins. Hier spielt Juventus Turin, hier steht dessen Stadion. In Vallette stehen aber auch zahlreiche Wohnblöcke aus der Nachkriegszeit. Kein schöner Anblick. Viele Häuser sind heruntergekommen, die Strassen haben Löcher. Im Quartier wohnen viele Arbeitslose, Alte, Ausländer. Quartierpräsident von Vallette ist Marco Novello. Er kennt die Probleme, doch etwas dagegen zu tun, sei schwierig:

Wir haben keine Mittel für Projekte, um den Bewohnern zu helfen. Uns fehlt sogar das Geld, das Gras der öffentlichen Grünanlagen regelmässig zu schneiden.
Autor: Marco NovelloQuartierpräsident von Vallette

Erst im Juni habe man einer Firma den Auftrag geben können, das Gras ein erstes Mal zu mähen. An Investitionen, etwa in die Quartierbibliothek, sei schon gar nicht zu denken, sagt Novello, der dem sozialdemokratischen Partito Democratico angehört.

Ernüchterung nach dem furiosen Wahlsieg

Vor gut einem Jahr verlor seine Partei wie in der ganzen Stadt auch in Vallette – und zwar haushoch. Seither regieren in Turin Chiara Appendino und das «Movimento Cinque Stelle». Jetzt, ein Jahr später, sei Ernüchterung eingekehrt: Appendino habe den Bürgern im Wahlkampf etwas vorgespielt, sagt Novello. «Sie hat zu hohe, falsche Erwartungen geweckt. Das rächt sich jetzt.» Denn bisher habe sich hier rein gar nichts zum Besseren gewendet. Im Gegenteil. Die vernachlässigten Aussenquartiere hätten noch weniger Geld als zuvor.

Der Wahlsieg in Rom wird zur Hypothek

Auch in Rom, wo seit gut einem Jahr die 5-Sterne-Frau Virginia Raggi Bürgermeisterin ist, ist die Bewegung unter Druck. Raggi hat sich wiederholt mit Leuten aus dem eigenen Regierungsteam überworfen: Im letzten Jahr heuerte sie allein vier Stadträte für Finanzen an und entliess sie kurzerhand wieder. Im politisch breit aufgestellten Movimento herrscht Unruhe.
Die Breite des Movimento, das den Protest links und rechts abholt, führt gerade in einer schwierigen Stadt wie Rom dazu, dass die Spannungen zunehmen. Im Unterschied zu Turin, das zwar Probleme mit der Arbeitslosigkeit hat, gibt es in Rom weit grössere Baustellen: der öffentliche Verkehr, die Müllabfuhr oder der Strassenunterhalt sind in prekärem Zustand. Im Sommer drohte der Stadt sogar das Wasser auszugehen.
Die Probleme in der ewigen Stadt sind enorm. Und auch das Movimento tut sich äusserst schwer damit, sie zu lösen. Kommt hinzu: Rom ist das Schaufenster der Nation – die Misswirtschaft des Movimento in der Hauptstadt wird damit zur Hypothek für die Bewegung. Gerade, weil Raggi mit grossen Versprechen in den Wahlkampf gegangen ist.

In Vallette holte Appendino 70 Prozent der Stimmen. Hier müsste die Turiner Bürgermeisterin eigentlich ansetzen und ihre Wahlversprechungen umsetzen: mehr Busse, mehr Trams, schnelles Internet, Projekte für Arbeitslose, für Senioren. Doch nichts davon ist bisher Realität, bestätigt auch Alberto Unia, Er ist Gründungsmitglied des Turiner Movimento und gehört zu Appendinos Regierungsteam: «Uns stehen unter dem Strich 100 Millionen Euro weniger zur Verfügung», klagt er.

Chiara Appendino steht am Po.
Legende: Tristesse in Turin: Chiara Appendino steht mit bescheidenem Leistungsausweis da. Reuters

Die Schuld dafür weist er der linken Vorgängerregierung zu, die in der Kasse ein schwarzes, gähnendes Loch hinterlassen habe. Es sei ihnen gar nichts übriggeblieben, als 100 Millionen einzusparen. Doch Unia sieht Licht am Ende des Tunnels: «Endlich fangen wir an, auch in den Vorstädten zu arbeiten», sagt er. Doch Geld dafür hat Turin weiterhin keines.

Es würde kaum erstaunen, würde das Gras in Vallette auch im nächsten Frühjahr spriessen ohne geschnitten zu werden. Doch Alberto Unia beharrt: Kehren Sie im nächsten Jahr zurück. Noch sei es zu früh für eine Bilanz.

Appendino und auch Grillo dulden nur Leute um sich, die ihnen treu ergeben sind. Nur wer brav nickt, kommt weiter.
Autor: Vittorio BertolaGründungsmitglied des Turiner Movimento

Den Stab bereits gebrochen hat Vittorio Bertola. Er gehört wie Unia zu den Gründungsmitgliedern des Turiner Movimento, ist unterdessen aber ausgetreten. Das Movimento habe, erst ein Jahr an der Macht, fast alle Ideale über Bord geworfen: «Seit jeher hat das Movimento verlangt, den Lohn von Politikern zu begrenzen. Keiner sollte mehr als 2500 Euro verdienen.»

Mann liest Zeitung in Turin.
Legende: Das Movimento versprach die Runderneurung der Politik: Einmal an der Macht, blieb davon wenig übrig. Keystone/Archiv

Doch Appendino und ihre Leute würden deutlich mehr kassieren.Solches und anderes habe er kritisiert, deswegen sei er in Ungnade gefallen, sagt Bertola: «Appendino und auch Grillo dulden nur Leute um sich, die ihnen treu ergeben sind. Nur wer brav nickt, kommt weiter. Das hat die Fünfsternebewegung erheblich geschwächt.»

Dabei, sagt Bertola, hätte Appendino die Chance gehabt, Turin tatsächlich zu verändern. Das Argument, dass das Geld dazu fehle, weist er zurück: «Einige der Versprechungen, zum Beispiel das Volk vermehrt mitbestimmen zu lassen, sind zum Nulltarif zu haben.» Doch das Movimento regiere über die Köpfe der Bürger hinweg. Genauso wie die traditionellen Parteien, gegen die es einst angetreten war. Davon ist Bertola überzeugt.

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