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Frauen tragen einen Sarg bei einem Trauerzug.
Legende: Unter den Opfern der Anschläge von Ankara befinden sich Menschen verschiedenster Herkunft. Keystone
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International «Für eine Täterschaft des IS spricht einiges»

Die Terrormiliz IS steht als Hauptverdächtige für die Anschläge von Ankara im Visier der Ermittler. Sollten die radikalen Islamisten das Attentat verübt haben, würde auch Präsident Erdogan eine Mitverantwortung tragen, sagt SRF-Auslandsredaktorin Iren Meier.

SRF News: Wem hat der Doppelanschlag von Ankara gegolten?

Iren Meier: Es sind in erster Linie ganz normale engagierte Bürgerinnen und Bürger unter den Toten,die gegen die Gewalt im Land demonstrieren wollten. Es sind viele Studenten, Gewerkschafter, Türken, Kurden, Aleviten – also alle Ethnien. Unter den Opfern sind auch Politiker, welche für die nächsten Wahlen kandidieren und es gibt viele Anhänger der pro-kurdischen Partei HDP.

Weiss man mittlerweile, wer für die Anschläge verantwortlich ist?

Regierungschef Davutoglu hat sich am Montagmorgen dazu geäussert und er hat bestätigt, dass es Selbstmordattentäter gewesen seien. Vermutlich hätten zwei Männer, deren Leichen nun untersucht werden, das Attentat verübt. Laut Davutoglu steht nun der IS als Hauptverdächtiger im Visier der Ermittler.

Für eine Täterschaft des IS spricht tatsächlich einiges: Die radikalen Islamisten könnten sich an den Kurden, die sie in Syrien und im Nordirak erfolgreich bekämpfen, rächen wollen. Sie könnten aber auch an der türkischen Regierung Rache üben. Diese hat kürzlich ihre Flugbasis Incirlik geöffnet, damit die amerikanische Luftwaffe IS-Ziele in Syrien angreifen kann. Es wird aber auch darüber spekuliert, ob der so genannte «tiefe Staat» am Attentat beteiligt ist. Mit dem «tiefen Staat» bezeichnet man in der Türkei ein Netzwerk von Mafia, Militärs und Geheimdiensten.

Die Demonstranten werfen der Regierung vor, sie hätte sie überhaupt nicht geschützt. Zu Recht?

Sehr viele Augenzeugen sagen, sie hätten nur ein paar Verkehrspolizisten gesehen. Das erstaunt doch sehr bei einer seit Wochen bewilligten Demonstration mitten im Zentrum der Hauptstadt Ankara in dieser angespannten Situation. Die sozialdemokratische Opposition verlangt nun den Rücktritt von zwei Ministern, weil jede Regierung die Pflicht habe, ihre Bürger zu schützen. Die Regierung weist dies aber von sich und sieht sich nicht in der Verantwortung. Das führt natürlich dazu, dass Zorn und Misstrauen wachsen.

Erdogan hat in den letzten Monaten ein Klima geschaffen, in dem Hass und Gewalt gedeihen.

Unter den Opfern sind viele Anhänger der pro-kurdischen Partei HDP. Deren Chef Demirtas macht Präsident Erdogan für das Massaker mitverantwortlich. Trägt Erdogan tatsächlich eine Schuld?

Falls tatsächlich der IS den Anschlag verübt hat, trägt Erdogan eine Mitverantwortung, weil er den radikalen Islamisten die Grenzen geöffnet hat und weil er sie indirekt – manche sagen sogar direkt – unterstützt hat. Man weiss zum Beispiel schon lange, dass der IS in der Türkei seine Zellen hat, also so genannte Schläfer, die bereit sind ein Attentat zu verüben. Und Erdogans Verantwortung geht darüber hinaus: Er hat in den letzten Monaten in der Türkei ein Klima geschaffen, in dem Hass und Gewalt gedeihen. Erdogan polarisiert wo er nur kann. Er hetzt gegen Kurden, Linke und Andersdenkende. Er verfolgt Journalisten und vor allem hat er das Land in den Krieg gegen die Kurden gezogen.

Audio
«Erdogan polarisiert, wo er nur kann»
aus Rendez-vous vom 12.10.2015.
abspielen. Laufzeit 4 Minuten 39 Sekunden.

In knapp drei Wochen sollten Wahlen in der Türkei stattfinden. Kann unter diesen Umständen regulär gewählt werden?

Die Regierung selber sagt, sie habe absolut keine Bedenken. Tatsächlich herrscht im Südosten des Landes Krieg. Niemand weiss, wie dort faire Wahlen abgehalten werden sollen. Unsicherheit und Angst wachsen nach dem Attentat noch mehr. Am Sonntag hat die OSZE ihre Beobachtermission zu den Wahlen aufgenommen. Heute sagt sie vorsichtig diplomatisch, es seien nicht ideale Bedingungen für freie Wahlen.

Das Gespräch führte Brigitte Kramer.

EDA passt Reisehinweise an

Aufgrund der Anschläge in Ankara hat das Departement für auswärtige Angelegenheiten die Reisehinweise für die Türkei angepasst.
Trotz erhöhter Sicherheitsmassnahmen müsse im ganzen Land mit Anschlägen gerechnet werden. Reisende werden angehalten, sich von grösseren Menschenansammlungen und Demonstrationen fernzuhalten. Touristen sollen zudem erhöhte Wachsamkeit walten lassen. Weiterhin wird vor Reisen in das Grenzgebiet zu Syrien und Irak abgeraten.

Iren Meier

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Porträt Iren Meier

Iren Meier ist SRF-Auslandredaktorin mit dem Spezialgebiet Türkei. Sie war von 2004 bis 2012 Nahost-Korrespondentin und lebte in Beirut. Von 1992 bis 2001 war sie als Osteuropa-Korrespondentin tätig – erst in Prag, dann in Belgrad.

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