SBB-Passagiere sollen bei erheblichen Verspätungen von Zügen bald besser entschädigt werden. Deutschland kennt seit längerer Zeit ein ähnliches System. Dieses funktioniere gut, konstatiert der deutsche Bahnexperte Karl-Peter Naumann.
SRF News: Wie gut funktioniert das System in Deutschland aus Kundensicht?
Karl-Peter Naumann: In der Regel sehr gut. Man muss ein Papierformular ausfüllen und zusammen mit dem Ticket einsenden. Das Formular kann man auch im Internet herunterladen und gleich am Computer ausfüllen. Binnen vier Wochen sollte einem die zustehende Entschädigung ausbezahlt werden. Falls man damit nicht einverstanden ist, kann man sich an die dafür vorgesehene Schlichtungsstelle wenden.
Welche Erfahrungen hat die Deutsche Bahn mit dem Entschädigungssystem gemacht?
Die Unternehmen des öffentlichen Verkehrs in Deutschland stehen durchaus hinter dem System, Kunden zu entschädigen, wenn sie durch Verspätungen grosse Nachteile erfahren haben. Und auch die Kunden sehen darin einen Beitrag der Kompensation. Trotzdem: Schlechte Leistungen des ÖV werden so kaum ausreichend ausgeglichen.
Allein die Deutsche Bahn hat mehr als 50 Millionen Euro Entschädigungen bezahlt.
Wie hoch waren die Entschädigungen im letzten Jahr, welche die Deutsche Bahn ihren Kunden wegen Verspätungen bezahlen musste?
Zuletzt hat man von gut 50 Millionen Euro gelesen. Das kann aber auch mehr sein, weil nicht nur die Deutsche Bahn Entschädigungen bezahlen muss, sondern die anderen Bahnunternehmen ebenfalls. Hinzu kommen die Strafzahlungen der Regionalbahnen, welche diese leisten müssen, wenn sie die vereinbarten Pünktlichkeitsziele nicht erreichen.
Können sich das die Bahn und der öffentliche Verkehr in Deutschland leisten?
Sie müssen es sich leisten – die Entschädigungen gehen auf eine Regel der EU zurück, deshalb müssen sich alle europäischen Bahnen daran halten.
In der Schweiz werden pro Jahr und Einwohner rund 400 Euro in die Bahn investiert, in Deutschland bloss knapp 80 Euro.
Die Deutsche Bahn ist immer wieder wegen schlechter Leistungen in den Schlagzeilen: Allein im Juni sollen bloss 70 Prozent aller ICE- und IC-Züge mit weniger als sechs Minuten Verspätungen verkehrt sein. Wieso ist die Bahn in Deutschland so unpünktlich?
Dafür gibt es viele Gründe. Hauptgrund aber ist, dass das Streckennetz den heutigen Anforderungen nicht mehr entspricht. Man hat in Deutschland in den letzten Jahren viel zu wenig Mittel in die Bahn investiert. Ein Vergleich: In der Schweiz werden pro Jahr und Einwohner rund 400 Euro in die Bahn investiert, in Deutschland sind es bloss knapp 80 Euro. Hinzu kommen viele ältere, störungsanfällige Züge sowie ein Personalmangel. Das alles zusammen bewirkt die Verspätungen.
Nun will die deutsche Regierung in den nächsten zehn Jahren 86 Milliarden Euro in die Modernisierung Bahn stecken. Wird das reichen, um die Verspätungen dereinst wieder in den Griff zu bekommen?
Nur bei einer gegenüber heute gleichbleibender Passagierzahl. Doch man rechnet mit mehr Passagieren, was auch mehr Strecken und neue Geleise bedeutet. Diese sind in den 86 Milliarden Euro aber nicht miteinberechnet.
Das Gespräch führte Susanne Stöckl.