Am 14. Mai traf Mahmoud Khaled Khadr eine Kugel am linken Oberschenkel. An diesem Tag ist es in Gaza zu Massenprotesten gekommen. Gegen die Verlegung der US-Botschaft nach Jerusalem. Über 1300 Menschen sind durch Schüsse verletzt worden.
Der Schuss, der Mahmoud Khaled Khadr galt, verletzte seine Vene. Das medizinische Personal in Gaza versuchte das Gefäss abzubinden, aber sie konnten die Blutung nicht stoppen. Deshalb wurde Khadr nach Jordanien gebracht. Auf dem Weg bekam er Blutinfusionen. Aber erst in Amman im Spital konnten die Ärzte die Blutung stoppen. Nun täten sie ihr Bestes, um seine Wunde zu behandeln, sagt er.
Ich habe Schmerzen, immer Schmerzen.
Oft kommen Patienten aus dem Ausland hierher nach Jordanien. Schwer Kranke, oder Schwerverletzte wie Mahmoud Khaled Khadr. Der schmächtige 23-Jährige aus Gaza liegt in einem Bett auf der allgemeinen Abteilung. Zugedeckt bis unters Kinn. Nur sein Kopf schaut heraus, und ein Teil seines eingebundenen linken Beins. Er habe Schmerzen, immer Schmerzen, sagt er.
In Khadrs Spital treffen wir auf Brigadier-General Saad Jaber. Er ist Herzchirurg und der leitende Arzt des «King Hussein Medical Center». Als Militärarzt hat er viele Auslandeinsätze in Kriegs- und Katstrophengebieten geleistet. Rund 30 Patienten aus Gaza hat Brigadier-General Saad Jaber hier gesehen, einige davon selbst operiert.
Das King «Hussein Medical Center» in Amman ist wie eine Stadt, und man nennt es auch «Medical City»: ein Komplex mit 5 grossen Spitälern. Ein Drittel aller Patienten aus Jordanien kommt in dieses Spital. Und jetzt eben auch schwerverletzte Palästinenser.
Die Gesundheitsbehörden in Gaza sind überlastet. Seit dem Beginn der Proteste am Grenzzaun zu Israel wurden 13'000 Palästinenser verletzt, 3600 von ihnen durch Schüsse der israelischen Armee.
Hilfswerke - darunter das IKRK und Handicap International - schicken zusätzliches medizinisches Personal nach Gaza, um bei der Behandlung von Verletzten zu helfen. Auch das Nachbarland Jordanien hilft.
Seit 2009 betreiben die «Royal Medical Services» der jordanischen Armee ein Feldspital in Gaza. Nach den Protesten gegen die Verlegung der US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem gab es in Gaza jedoch so viele Schwerverletzte, dass Ärzte vor Ort nicht alle behandeln konnten. Die jordanische Armee brachte besonders schwer Verletzte wie Khadr ins Spital von Brigadier-General Saad Jaber nach Amman.
Es gibt auch weniger gefährliche Munition, um Demonstranten zu stoppen.
90 Prozent der Verletzungen treten an den Beinen auf und sind von der Sorte, wie sie Scharfschützen verursachen, sagt Saad Jaber. Die meisten Verletzten müssten wohl mit Behinderungen leben. Dass die Verletzungen derart schwer sind, liegt nach Ansicht Jabers an der technischen Weiterentwicklung von Kriegsmunition.
«Die heutige Hochgeschwindigkeitsmunition explodiert oft im Körper und zerstört Gewebe, Blutgefässe und Knochen. Diese Zerstörungskraft macht die Verletzungen so schwer.»
Bei solchen Verletzungen bestehe die Gefahr, dass Patienten wie Khadr das Bein verlieren, erklärt Jaber. Es brauche deshalb ein ganzes Team von Chirurgen: Herz-Kreislaufspezialisten, orthopädische und plastische Chirurgen. Solche Teams aber hätten sie in Gaza nicht.
Jaber erzählt, dass sie einem Patienten trotz aller Rettungsversuche das Bein abnehmen mussten. «Die Wunde ist lebensgefährlich infiziert gewesen.» Immerhin könnten sie ihm hier aber eine Beinprothese machen. Auch dazu fehlen in Gaza die Mittel.
In Gaza geht es nicht um einen Einsatz gegen Demonstranten, sondern um einen gegen Terroristen.
Als Arzt und jordanischer Militär-Offizier will Saad Jaber die Einsatzmethoden der israelischen Streitkräfte nicht kommentieren. Er sagt nur: es gebe auch weniger gefährliche Munition, um Demonstranten zu stoppen. Dem widerspricht Jonathan Conricus. Er ist Oberstleutnant und Sprecher der israelischen Armee.
In Gaza gehe es nicht um einen Einsatz gegen Demonstranten, sondern um einen gegen Terroristen, argumentiert Conricus. Für ihn ist es klar, dass es sich in Gaza nicht um friedliche Massenproteste handelt, sondern um eine fiese neue Taktik der Hamas.
Terroristen stoppt man nicht mit Gummigeschossen.
Er ist überzeugt, dass die Hamas als Zivilisten getarnte Mitglieder vorschickt, um die israelische Verteidigung zu verunsichern. Sobald dies gelingt, würden Terroristen versuchen, die Israelis anzugreifen. Diese leben gerade mal 700 Meter hinter dem Zaun.
Die Hamas selbst habe zugegeben, dass die meisten Toten am 14. Mai ihre Mitglieder gewesen seien. Dies bestätige diese These einer neuen Taktik. Und wie man dieser Taktik begegnet, liegt für Conricus auf der Hand: «Terroristen stoppt man nicht mit Gummigeschossen.»
Auch Israel untersucht Israels Gewalt
Bleibt die Frage, ob es notwendig ist, solch invasive Munition zu verwenden, gerade wenn die Gefahr besteht, dass sie auch Zivilisten trifft. Oberstleutnant Conricus beruft sich auf die Professionalität seiner Soldaten.
Die israelische Armee habe kein Interesse an Toten und Verletzten und versuche diese auch zu vermeiden, sagt Conricus. «Kein Scharfschütze darf einfach schiessen: der Befehl dazu gibt ein höherer Offizier.» Und geschossen werde mit derselben Scharfschützenmunition, wie sie die Nato im Kriegsfall auch brauche.