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Jair Bolsonaros Brasilien «Wir stehen vor einem Systemwechsel»

Brasilien stimmt mit der Wahl von Jair Bolsonaro zum Präsidenten für einen deutlichen Schwenk nach rechts. Es wählt einen Mann, der den Zugang zu Waffen erleichtern, wichtige Ministerien mit Militärs besetzen will – und politischen Gegnern mit Gewalt und Gefängnis droht. Und doch ist Bolsonaro ein Hoffnungsträger, denn die Wut im Land ist gross: Auf korrupte Politiker, die nichts gegen das Elend im Alltag unternehmen.

Es wird schwierig für Bolsonaro, seine Versprechen umzusetzen, sagt Brasilien-Kenner Wolf Grabendorff. Trotzdem sieht er das Land vor einem Systemwechsel. Und ein grosses Risiko für die Region: Eine Beteiligung Brasiliens an einem Krieg gegen Venezuela sei nicht auszuschliessen.

Wolf Grabendorff

Politologe

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Der deutsche Politikwissenschafter lebte jahrzehntelang in Lateinamerika und war unter anderem in Ecuadors Hauptstadt Quito als Gastprofessor für internationale Beziehungen tätig. Grabendorff hat mehrere Bücher verfasst.

SRF News: Ist Bolsonaro der Mann, der Brasilien aus der Krise führen kann?

Wolf Grabendorff: Wenn es um die Wirtschaftskrise geht, dann bietet sich ihm vielleicht eine Möglichkeit. Aber ich befürchte, wir stehen in Brasilien nicht vor einer Krise, sondern vor einem Systemwechsel. Und es ist bekannt von Chávez und Trump, dass auch gewählte Präsidenten durchaus in der Lage sind, das politische System eines Landes zu ändern.

Die Finanzmärkte jubeln heute – ihr Wunschkandidat hat gewonnen.

Das ist sicherlich richtig. Der designierte Wirtschafts- und Finanzminister Paulo Guedes gehört zu den berühmten «Chicago Boys», also zu den Leuten, die damals auch Pinochet in Chile beraten haben und die den Staat sozusagen als ein dem Markt untergeordnetes Wesen betrachten.

Es wird schon jetzt spekuliert, dass viele Staatsunternehmen in Brasilien privatisiert werden sollen.

Und deshalb wird auch jetzt schon spekuliert, dass sehr viele Staatsunternehmen in Brasilien privatisiert werden sollen. Das bringt natürlich Geld, sowohl in die Kassen als auch in die Aktienmärkte. Ausserdem stärkt es die schwache Währung. Das könnte in der Tat, zumindest in den ersten Monaten, einen wirtschaftlichen Aufschwung bewirken.

Bolsonaro hat sich immer gegen Privatisierungen ausgesprochen. Wie passt das zusammen?

Wie diese Balance ausgehen wird, lässt sich im Moment schlecht sagen. Aber er muss irgendetwas Sinnvolles, das bei den Leuten ankommt, produzieren. Und das ist für ihn im Moment nur im Wirtschaftssektor zu erreichen; indem er die Wirtschaft viel stärker öffnet. Brasilien gehört zu den Ländern, die bisher sehr protektionistisch waren. In einer ersten Phase kann eine Öffnung durchaus zu positiven Effekten führen.

Viele Brasilianer gehen mit Mitte 50 in Rente. Bolsonaro hat radikale Reformen im Pensionssystem angekündigt. Wird ihn das Wählerstimmen kosten?

Die Frage ist, ob das überhaupt durchsetzbar ist. Das hat auch der bisherige Präsident Michel Temer nicht durchsetzen können, obwohl er es mehrfach angekündigt hat. Das Pensionssystem betrifft allerdings hauptsächlich die Eliten des Landes. Denn die Armen, die weiterhin die grosse Mehrheit in Brasilien darstellen, sind nicht Teil des Pensionssystems. Und gerade die Eliten, die für den neuen Präsidenten gestimmt haben, werden sicherlich nicht für eine Reform des Pensionssystems einstehen.

Brasilien ist die grösste Volkswirtschaft in Südamerika. Was bedeutet die Wahl von Bolsonaro für den gemeinsamen Markt Mercosur?

Bolsonaro hat schon angekündigt, dass er, wie sein Vorbild Trump, vor allen Dingen auf bilaterale Beziehungen setzen wird. Er wird enge Beziehungen zu Argentinien aufstellen. Der argentinische Präsident Macri hat ihm schon im Wahlkampf versichert, dass er stark auf die Zusammenarbeit setzen wird. Der Mercosur ist ein Gebilde der alten Republik Brasiliens. Bolsonaro wird vermutlich nicht auf den Mercosur setzen, ihn aber auch nicht abschaffen.

Der Mercosur ist ein Gebilde der alten Republik Brasiliens.

Venezuela wurde vor zwei Jahren vom Mercosur ausgeschlossen, die Bevölkerung flüchtet unter anderem nach Brasilien. Was wird sich für das sozialistische Nachbarland ändern?

Immer, wenn ein Messias in Lateinamerika auftritt, bringt er ein starkes Feindbild mit sich. Bolsonaro ist ein Antikommunist und Venezuela gehört zu den Feindbildern. Das hat wenig mit den Migrationsbewegungen zu tun, die auch Brasilien betroffen haben, sondern damit, dass hier eine neue Allianz entsteht zwischen Trump und Brasilien. Es wird immer wieder davon geredet, dass es notwendigerweise eine militärische Lösung geben könnte. Und Bolsonaro hat sich sehr dafür ausgedrückt, dass die Militärs in seinem Land in Zukunft ein wesentlich stärkeres Gewicht haben werden.

Sie können sich vorstellen, dass es einen Krieg gegen Venezuela gibt?

Das wird zumindest diskutiert. Für die Region hätte das natürlich katastrophale Auswirkungen. Aber ein «Befreiungskampf» von Venezuela eines Tages ist angesichts der extremen Haltung in Brasilien, die von den Wählern bestätigt worden ist, nicht auszuschliessen.

Vor zehn Jahren war die Rede von einem Linksruck in Südamerika. Bis auf Venezuela sind mittlerweile fast alle Länder nach rechts gedreht. Was ist passiert?

Diese Entwicklung hat sich schon vor drei Jahren abgezeichnet, als Macri in Argentinien gewählt worden ist. Sie hängt stark damit zusammen, dass die hohen Preise für die Hauptexportgüter Lateinamerikas eingefallen sind und damit nicht mehr so viel Geld zum Verteilen da ist.

Quer durch alle Länder ist bei den Linkswählern eine starke Unzufriedenheit zu spüren.

Quer durch alle Länder ist nun auch bei den Leuten, die sonst die sogenannten linken Regierungen unterstützt haben, eine starke Unzufriedenheit zu spüren. Und die sagen jetzt: Hier muss ein neuer Mann, ein neues System her, das zu einer besseren wirtschaftlichen Situation führt.

Das Gespräch führte Samuel Wyss.

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