Ein Vkusvill-Supermarkt im Westen von Moskau. Inmitten grauer Plattenbauten aus der Sowjetzeit. Das Geschäft selber wirkt frisch und freundlich: Gemüse auf einer riesigen Theke, meterlange Kühlschränke mit Milchprodukten, ein Kaffeeautomat.
«Wir unterscheiden uns von allen anderen Supermärkten der Welt: Bei uns sind über 60 Prozent der Produkte frisch, sie haben eine sehr kurze Haltbarkeitsfrist», sagt Vkusvill-CEO Andrey Krivenko.
Ich habe gesehen, wie langwierig die Prozesse sind.
Krivenko steht zwischen Essensregalen und einer Ecke, in der frische Blumen angeboten werden. Mit seinem Polohemd sieht er aus wie ein zufälliger Kunde. Dabei ist der 44-Jährige das Hirn hinter der Erfolgsgeschichte «Vkusvill».
«Ich habe früher als Finanzmanager in der Lebensmittelbranche gearbeitet. Da habe ich erlebt, wie kompliziert und langwierig die Prozesse zwischen Produzenten, Supermärkten und Kunden sind», sagt er.
Ein Konzept ohne Lagerzeiten
Krivenko dachte sich ein neues System aus: Unabhängige Hersteller produzieren Milch, Käse, Vollkornmehl, und weitere Produkte, füllen diese in schnörkellose Vkusvill-Verpackungen – und liefern an die Supermärkte. Entscheidend ist die Logistik. Kein Produkt liegt je in einem Lagerhaus.
Die Kette hat praktisch nur russische Produkte im Angebot. Frischkäse von der Wolga, Haferflocken aus dem Umland von Moskau, getrocknete Beeren aus dem hohen Norden. Das «Made in Russia» ist ein riesiger Vorteil, denn wegen der Schwäche des Rubels sind importierte Lebensmittel für viele Russinnen und Russen zu teuer.
Und selbst die ungewöhnlich kurze Haltbarkeit von vielen Vkusvill-Produkten ist kein Nachteil – im Gegenteil: Für viele Kunden ist dies ein Zeichen für besondere Natürlichkeit eines Lebensmittels.
Wir eröffnen jede Woche rund zehn neue Läden.
Eine Überzeugung, die noch aus der Sowjetzeit stammt. Damals waren Konservierungsmittel in Lebensmitteln verboten. Vor allem ältere Kundschaft erinnert sich noch heute mit Wehmut an den Geschmack der «guten alten» sowjetischen Würste oder Milchprodukte, die man rasch verzehren musste.
Krivenkos Geschäftsmodell funktioniert: «Wir eröffnen jede Woche rund zehn neue Läden.» Die allermeisten Geschäfte befinden sich in Moskau oder im unmittelbaren Umland. Nun will Vkusvill den Sprung ins Ausland wagen.
Ambitionierte Expansionspläne
«Wir haben bereits ein Team in den Niederlanden und suchen in anderen Ländern nach Partnern», sagt Krivenko. Einfach wird das nicht. Denn russische Lebensmittel dürfen zum grössten Teil nicht nach Europa exportiert werden. Vkusvill muss also unzählige neue Produzenten vor Ort finden. Warum erobert Krivenko mit seinen Läden nicht erst die Weiten Russlands?
Paris oder Amsterdam sind näher von Moskau aus gesehen.
«Weil vielerorts den Leuten in Russland das Geld fehlt, um unsere Produkte kaufen zu können. Wir könnten natürlich anfangen, Filialen in Sibirien zu eröffnen. Aber Paris oder Amsterdam sind näher von Moskau aus gesehen. Es gibt mehr Flüge und vor allem mehr Kaufkraft.»
Vorbehalte bei potentiellen europäischen Partnern
Das Corona-Virus bremst den russischen Unternehmer zwar vorerst etwas aus. Aber er hält die Krise für vorübergehend. Ein anderes Problem allerdings dürfte nicht so schnell verschwinden: Potenzielle Geschäftspartner hätten mit Vorbehalten reagiert, weil Vkusvill aus Russland komme, sagt Krivenko.
Vorurteile gegenüber russischen Geschäftsleuten erschweren also Geschäft des umtriebigen Unternehmers. Er will sich davon nicht abschrecken lassen.