Japan war das erste Land, in dem das neuartige Coronavirus neben China auftrat. Es schien, als ob der Staat rechtzeitig Massnahmen ergriffen hätte, um die Verbreitung einzudämmen. Doch die Leute wurden nachlässig. Jetzt hat Regierungschef Shinzo Abe den Notstand für Tokio und sechs weitere Provinzen ausgerufen – und ein riesiges Konjunkturpaket geschnürt. Martin Fritz erklärt die Hintergründe.
SRF News: Warum ist die Zahl der Neuinfektionen in Japan gestiegen?
Martin Fritz: Japans Zahlen sind vergleichsweise immer noch niedrig. Aktuell gibt es knapp 4000 Infizierte, 92 Tote und 600 Menschen, die genesen sind. Bisher war Japans Strategie, Häufungen von Covid-19 durch gezieltes Testen von Kranken herauszufinden und durch die Nachverfolgung ihrer Kontakte die Leute zu isolieren. Dazu haben die Japaner fast konsequent Masken getragen und sind freiwillig mehr zu Hause geblieben. Doch vor zweieinhalb Wochen hat eine Art von Nachlässigkeit eingesetzt. Man trug weniger Masken und feierte gar Partys unter den blühenden Kirschbäumen. Ähnlich wie in Singapur gibt es eine zweite Welle von Infektionen und der Schwerpunkt liegt in der Hauptstadt Tokio.
Die Ausrufung des Ausnahmezustands dient vor allem dazu, den Bürgern den Ernst der Lage zu veranschaulichen.
Abes Massnahmen sind vergleichsweise sanft. Keine Stadt wird blockiert und es gibt keine harten Ausgangssperren. Warum geht die Regierung nicht weiter?
Erstens will die Regierung der Wirtschaft so wenig wie möglich schaden. Zwar sind nur sieben Präfekturen betroffen, aber diese machen etwa die Hälfte der Wirtschaft aus. Zweitens sind dem Notstand in Japan rechtlich sehr enge Grenzen gesetzt. Die Bürgerrechte in Japan sind durch die Verfassung stark geschützt. Eine Ausgangssperre lässt sich polizeilich nicht durchsetzen. Die Ausrufung des Notstands dient vor allem dazu, den Bürgern den Ernst der Lage zu veranschaulichen.
Abe hat ein Konjunkturprogramm in Höhe von rund 960 Milliarden Franken angekündigt. Warum gibt er fast doppelt so viel Geld aus wie bei der Finanzkrise?
Diese Summe entspricht etwa 20 Prozent von Japans jährlicher Wirtschaftsleistung. Abe will zeigen, dass er die Krise ernst nimmt. Ihm war vorgeworfen worden, zu wenig getan zu haben. Letzte Woche hatte er einen Notstand noch abgelehnt und stattdessen angekündigt, jeder Haushalt solle zwei Stoffmasken auf Staatskosten erhalten. Das kam bei den Bürgern nicht gut an. Die 960 Milliarden Franken werden aber nicht komplett von der Regierung bezahlt. Die Unternehmen können gewisse fällige Zahlungen ins nächste Jahr verschieben, damit sie mehr Geld in der Kasse behalten. Das macht ungefähr ein Viertel der Summe dieses Pakets aus. Dieses Geld kommt so einfach später in die Staats- und Sozialkassen hinein, wenn alles gut geht.
Die neuen Anleihen landen via Umweg über den Finanzmarkt wieder bei der japanischen Zentralbank. Der Staat schuldet sich dann seine Schulden quasi selbst.
Die teuerste Massnahme ist, dass ungefähr zehn Millionen Haushalte mit niedrigem Einkommen umgerechnet je 2600 Franken erhalten sollen. Das macht rund 53 Milliarden Franken. Und jedes kleine Geschäft und jeder Kleinbetrieb soll bis zu 18'000 Franken bekommen.
Japan hat bereits immense Schulden. Kann sich das Land dieses grosszügige Hilfspaket leisten?
In den letzten sieben Jahren hat die japanische Notenbank rund die Hälfte der Staatsverschuldung aufgekauft. Das bedeutet, dass die neuen Anleihen via Umweg über den Finanzmarkt wieder bei der japanischen Zentralbank landen. Der Staat schuldet sich dann seine Schulden quasi selbst. Das könnte noch eine Weile gut gehen. Immerhin ist das Land nicht auf ausländisches Kapital für seine Schulden angewiesen. Das macht eine Schuldenkrise viel unwahrscheinlicher.
Das Gespräch führte Hans Ineichen.