Zum Inhalt springen

Kanzler im SRF-Interview «Ziel ist, uns bei Grenzkontrollen-Lockerung rasch zu einigen»

Österreich ist im Vergleich mit vielen anderen europäischen Ländern gut durch die Coronakrise gekommen. Bislang rund 16'000 Fälle und etwas über 600 Todesopfer zählt das Alpenland. Viele Österreicherinnen und Österreicher schreiben dies den Massnahmen der Regierung von Sebastian Kurz zu. Der Bundeskanzler zeichnete sich in den letzten Wochen als «Macher» aus. Viele seiner Massnahmen wurden im Ausland kopiert.

Sebastian Kurz

Ehemaliger Bundeskanzler der Republik Österreich

Personen-Box aufklappen Personen-Box zuklappen

Der heute 35-jährige gebürtige Wiener stieg früh in die Politik ein. Mit 23 Jahren wurde er Vorsitzender der Jungen Volkspartei, der Jugendorganisation der konservativen Österreichischen Volkspartei (ÖVP).

Nach jeweils zwei Jahren im Wiener Landtag und als Staatssekretär für Integration wurde er 2013 mit 27 Jahren der jüngste Aussenminister der österreichischen Geschichte.

2017 errang er den Vorsitz der ÖVP, die er nach seinen Vorstellungen umbaute. Nach dem Wahlsieg im Oktober wurde er erstmals Bundeskanzler. Im Mai 2019 zerbrach seine Koalition mit der rechtspopulistischen Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) im Zuge der Ibiza-Affäre. Kurz musste nach einem Misstrauensvotum abtreten.

Die vorgezogene Neuwahl im Oktober 2019 gewann Kurz erneut. Im Januar 2020 trat er seine zweite Amtszeit als Kanzler an. Im Oktober 2021 trat Kurz zurück, weil er verdächtigt worden war, in einem Boulevardblatt Medienberichterstattung gekauft zu haben.

SRF News: Herr Bundeskanzler, kürzlich wurde einer Person aus der Schweiz verwehrt, die sterbende Mutter in Österreich zu besuchen. Liebende aus den zwei Ländern können sich nicht treffen. Wer steht auf der Bremse bei der Grenzöffnung?

Sebastian Kurz: Hoffentlich bald niemand mehr. Wir sind in einem sehr guten Austausch mit der Schweizer Regierung. Unser Ziel ist es, dass wir uns schon in den nächsten Tagen auf deutliche Lockerungen einigen und mit Juni die Grenzkontrollen vollständig beenden können. Die Zahlen in Österreich und der Schweiz entwickeln sich gleichermassen gut.

Wenn die Zahlen gut sind, wer bremst?

Ich würde nicht sagen, dass es einen Bremsklotz gibt. Schauen Sie sich die Situation in Europa an, da sind die Grenzen überall zu. Jetzt muss man einen Modus finden, die Grenzen schrittweise zu öffnen. Wenn man zu schnell oder unvorsichtig agiert, kann ein sehr grosser Schaden angerichtet werden. Das wollen wir alle nicht.

Trifft der auch in deutschen Medien vermittelte Eindruck zu, dass die Schweiz und Österreich gerne rascher öffnen würden, Bayern aber auf der Bremse steht?

Der Eindruck ist nicht ganz falsch. Auf europäischer Ebene hat es entsprechende Initiativen von uns, aber auch von der Schweiz gegeben. Beides sind kleine, international gut vernetzte, exportorientierte Länder. Es ist klar, dass bei uns der Öffnungswunsch stärker ist als vielleicht anderswo. Unser Ziel ist natürlich, auch die Situation an unserer grossen Grenze zu Deutschland zu lösen. Die Gespräche mit Deutschland laufen ausgezeichnet. Auch da ist ein Durchbruch zu erwarten.

Unsere Massnahmen waren vergleichsweise hart und schnell
Autor: Sebastian Kurz Österreichischer Bundeskanzler

Was sagen Sie zu den Vorwürfen an die Tiroler Behörden, sie hätten Corona-Fälle nicht gemeldet, um den Tourismus nicht zu gefährden?

Wenn jemand absichtlich eine Ansteckung nicht gemeldet hätte, würde diese Person in Österreich selbstverständlich zur Verantwortung gezogen. Es muss erst geprüft werden, ob das stattgefunden hat. Meiner Meinung nach haben wir im internationalen Vergleich sehr schnell reagiert. Unsere Massnahmen waren vergleichsweise hart und schnell. Es stimmt, dass sich viele Menschen an Orten angesteckt haben, die international und touristisch sind (Anm. d. Red: Kurz bezieht sich u.a. auf Ischgl). Aber das trifft auch auf Italien oder die Schweiz zu. In einer weltweiten Pandemie wäre es falsch, einem Land oder gar einer einzelnen Gemeinde die Schuld zu geben.

Es haben aber Leute, darunter auch Schweizer Touristen, eine Klage gegen Tirol angestrengt.

Wenn sie das Gefühl haben, ihnen sei Unrecht widerfahren, steht ihnen der Rechtsweg offen. Ich jedenfalls gebe den Italienern nicht die Schuld, das Virus nach Österreich eingeschleppt zu haben. Mit dem Finger auf andere zu zeigen ist nicht unser Stil. Was den Tourismus betrifft: Die Schweizerinnen und Schweizer sind in Österreich herzlich willkommen. Wir haben das Virus unter Kontrolle gebracht, die Ansteckungszahlen liegen seit Wochen im zweistelligen Bereich, der Austausch zwischen der Schweiz und Österreich kann wieder stattfinden.

In Österreich tragen viel mehr Menschen eine Schutzmaske als in der Schweiz. Sie selbst haben das Maskentragen anfänglich ebenfalls nicht propagiert, sind dann aber umgeschwenkt. Warum?

Als die Ansteckungszahlen bei uns gestiegen sind, habe ich unsere Partner in asiatischen Ländern kontaktiert. Sie waren früher betroffen als wir, ich dachte mir: Wahrscheinlich können wir von ihnen lernen. Viele haben mir dasselbe gesagt. Entscheidend ist Abstand halten, Hygiene, das Tragen von Masken.

Wir haben uns deshalb früh dafür entschieden. Damals war die Expertenmeinung in Europa teilweise noch anders. Inzwischen empfehlen sowohl die WHO als auch viele renommierte Institute das Tragen von Masken. Auch wenn der Anteil der Masken schwierig zu berechnen ist: Wie kaum anderswo ist es in Österreich gelungen, die Infektionszahlen nach unten zu bringen.

Anders als bei vielen europäischen Kollegen waren bei Ihren Auftritten selten Virologen an Ihrer Seite. Ihre Gegner werfen Ihnen deshalb vor, sich in der Coronakrise profilieren zu wollen.

Das ist ein abenteuerlicher Vorwurf. Was glauben Sie: Was denkt man als Bundeskanzler, wenn eine solche Krise über das Land hereinbricht, wenn Menschen erkranken und sterben, die Wirtschaft zusammenbricht, die Arbeitslosigkeit in die Höhe schnellt? Sicher nicht, was das Beste für einen persönlich ist. In dieser Situation haben alle, auch die Opposition, versucht, ihren Beitrag zu leisten, um die Situation bestmöglich zu bewältigen.

Was die Experten betrifft: Täglich haben Virologen, Mediziner, Vertreter des Roten Kreuzes oder Mathematiker im ORF und auf anderen Sendern Informationen zum Virus an die Bevölkerung weitergegeben. Aber am Ende des Tages muss eine demokratisch gewählte Regierung entscheiden. Diese Entscheidungen dürfen auch kritisch hinterfragt werden.

Was hätten Sie mit heutigem Wissen rückblickend anders gemacht?

Unser frühes Handeln hat sich im Nachhinein als richtig herausgestellt. Sogar Experten hatten vor einem harten Lockdown abgeraten. Aber durch unsere Massnahmen mussten weniger Menschen sterben. Jeden Tag erfahren wir mehr über das Virus und können die Massnahmen anpassen.

Trotzdem: Würden Sie etwas anders machen?

Hätten wir im Januar schon gewusst, dass das Virus von China via Italien auf Österreich zurollt, hätten wir die Massnahmen noch früher ergriffen.

Das Gespräch führte Peter Balzli.

10vor10, 12.5.2020, 21:50 ; 

Meistgelesene Artikel