Griechenland sei auf Wachstumskurs, sagt das griechische Finanzministerium. In seinem neuen Haushaltsentwurf rechnet das krisengeplagte Land fürs kommende Jahr mit einer höheren Wirtschaftsleistung, mit einem Haushaltsüberschuss und einem Rückgang der Arbeitslosigkeit.
SRF: Wie kommen diese optimistischen Prognosen zustande?
Corinna Jessen: Das gelingt nur durch immer noch mehr Steuern. Dass diese Rechnung nicht aufgehen kann, zeichnet sich bereits daran ab, dass durch die ständigen Lohn- und Rentenkürzungen bei gleichzeitiger Steuererhöhung viele Griechen den Belastungen nicht mehr standhalten können. Vier Millionen Steuerzahler haben jetzt schon Schulden gegenüber der öffentlichen Hand. Also jeder zweite Grieche kann seine Steuern nicht mehr oder nur noch teilweise bezahlen. Das dürfte schon zu diesem Jahresende dazu führen, dass die Einnahmeprognose um zirka zwei Milliarden nach unten korrigiert werden muss.
Die Griechen spüren also nichts vom Wachstumskurs, den das griechische Finanzministerium propagiert?
Allerdings. Und immer weitere Teile der ehemaligen Mittelschicht rutschen durch die fallenden Einkommen und durch die steigenden Steuern aufs Existenzminimum oder gar in prekäre Lebensumstände ab. Und einer diesjährigen Studie der Denkfabrik Dianeosis zufolge leben in Griechenland 1,5 Millionen Menschen, also 14 Prozent der Bevölkerung in extremer Armut. Eine Einzelperson hat also weniger als 200 Franken und eine vierköpfige Familie weniger als 1000 Franken im Monat zur Verfügung.
Trotzdem sehen die Wachstumszahlen Griechenlands erfreulich aus. Brauchen die Griechen nicht einfach noch ein wenig Geduld, bis das Wachstum auch bei ihnen ankommt?
Das ist die Durchhalteparole zu der die Regierung von Alexis Tsipras bläst. Doch seine Rechnung kann kaum aufgehen, solange eben die Privatwirtschaft kein neues Konzept entwickeln kann, das eine Grundlage für nachhaltiges Wachstum wäre.
Also keine Spur von einem freundlichen Klima für Investoren oder Innovationen. Hat die griechische Politik aus dieser Krise also nichts gelernt?
Was wirkliche Strukturreformen angeht, nicht allzu viel. Auch die Regierung Tsipras hat das getan, was alle ihre Vorgänger getan haben: Sie hat ihre Leute in den staatlichen Schlüsselstellen positioniert und die Bürokratie für ihre Zwecke eher verschärft als vereinfacht.
Das Gespräch führte Markus Föhn.