Amon Timan pumpt. Zwei ineinander geschobene Plastikröhren, in den sandigen Boden gesenkt, schaffen ein Vakuum. Das ist alles, was es brauche, um im Ort Tabiteuea an Trinkwasser zu kommen. «Der Süsswasserpegel liegt in nur etwa zwei Metern Tiefe», erklärt Timan, während sich der Eimer füllt.
Er sei dankbar, sagt der 68-Jährige: das Wasser hier, im Norden der Insel Tarawa, sei noch nicht so brackig wie an anderen Orten in Kiribati. «Ich hoffe, das bleibt weiter so – so Gott will.»
Gott will nicht
Gott – so scheint es – hat die Menschen von Kiribati vergessen. Der Anstieg des Meeresspiegels sei unaufhaltbar, sagen Wissenschaftler, selbst wenn es der Welt gelinge, die globale Erwärmung unter zwei Grad zu halten, wie 2015 in Paris völkerrechtlich vereinbart wurde. So ist es wohl nur eine Frage der Zeit, bis auch in Tabiteuea das Meerwasser in die Trinkwasserlinse sickert und sie versalzt.
Erst würden die Kinder krank, dann sterbe das Gemüse im Garten ab, sagt Timan. «Und was tun wir dann?», fragt er, mit einem Ton der Verzweiflung in der Stimme. Der Mann symbolisiert ein Land, das sich von der Welt verraten fühlt.
Wir können nicht mehr länger auf Hilfe warten
«Wir können nicht mehr länger auf Hilfe warten», appellierte auch Präsident Taneti Mamau im September vor der UNO in New York an die internationale Gemeinschaft. «Unsere Leute leiden jeden Tag unter den Auswirkungen der schleichenden Klimakatastrophe». Eine Katastrophe, an der die Menschen von Kiribati am wenigsten Schuld tragen.
Existenzielle Bedrohung
Kiribati mit 118 000 Einwohnern, liegt etwa auf halbem Weg zwischen Fidschi und Hawaii. Es besteht aus 33 Korallenatollen und Inseln, verteilt über eine Meeresfläche so gross wie Vereinigen Staaten von Amerika. Seit 1983 messen Forscher in Kiribati den Meerespegel. In den letzten 25 Jahren haben die Wissenschaftler einen Anstieg des Meerespiegels von jährlich bis zu 5,7 mm festgestellt. Der Pegelanstieg ist eine von vielen Folgen der globalen Erwärmung.
In Kombination mit immer häufiger vorkommenden, stärkeren Zyklonen, mit Sturmfluten, ist für die tiefliegenden Inseln des Pazifik‘ bereits ein Anstieg des Pegels um wenige Millimeter eine existenzielle Bedrohung. Die meisten Atolle von Kiribati liegen gerade mal einen bis drei Meter über dem Meeresspiegel. Das Land droht, noch in diesem Jahrhundert vom Meer verschluckt zu werden, glauben Wissenschaftler.
Dazu sei es eines der ärmsten der Welt, sagt die UNO, eine sogenannte «Least Developed Nation». Experten vergleichen den Entwicklungszustand mit der Situation in Afghanistan und Haiti. Die Kindersterblichkeitsrate ist höher als in Bangladesch. Ohne Entwicklungshilfe aus Australien, Neuseeland und der EU sähe die Situation noch düsterer aus.
Das Schicksal kann manchmal zynisch sein
Tiefliegende Inseln wie die von Kiribati sind wie der sprichwörtliche Kanarienvogel in der Kohlemine. Sie warnen die Welt davor, was auf sie zukommt. Laut dem Ozeanographie-Professor Stefan Rahmstorf von der Universität Potsdam hatte der Weltklimarat schon 2013 vor einem globalen Meeresspiegelanstieg um 28 bis 98 Zentimeter in diesem Jahrhundert gewarnt.
Lokal gäbe es dafür eine Reihe von Ursachen, schreibt der Experte, «aber die Hauptursache ist die vom Menschen verursachte globale
Erwärmung». Dadurch dehne sich nicht nur das Meereswasser aus – die Landeismassen wie etwa die Gletscher im Gebirge würden schmelzen. «Die grossen Eisschilde auf Grönland und der Antarktis verlieren inzwischen jährlich eine Eismenge, die einem mehrfachen des Mount Everest entspricht».
Eine Fahrt durch Tarawa zerschmettert das Klischee der lieblichen Südseeinsel. Absterbende Palmenplantagen zeugen von der zerstörerischen Kraft des Salzwassers. Schon bei leichtem Wind dringt Meerwasser in die Felder, in die Gärten. Der Prozess des Sterbens beginnt.
Hunderte von Bauernfamilien haben in den letzten Jahren auf Kiribati ihre Lebensgrundlage verloren, und damit ihre Heimat. Und das Land verliert eine wichtige Einkommensquelle: getrocknete Kokosnuss - sogenannte Kopra - ist eines der wenigen Exporterzeugnisse.
Hotel Toyota
Am Strand macht man kaum einen Schritt, ohne auf einen Styroporteller zu treten, eine Plastikgabel, eine Konservendose.
Kiribati muss fast alle Produkte importieren, hat aber kein effektives System der Abfallbeseitigung. So spiegelt sich die grenzenlose Welt des Konsums in einem Tümpel am Strand wider. Kinder schwimmen zwischen leeren Wasserflaschen von Nestlé und Hygieneartikeln von Tampax.
Selbst Autos - meist Gebrauchtwagen aus Japan - sind Einwegprodukte. Einmal defekt, bleiben sie als rostige Wracks am Strassenrand liegen – «Hotel Toyota» für Ratten und räudige Hunde. Den Müll auf Schiffe zu verladen und über tausende Kilometer nach Australien oder Neuseeland zu bringen, das wäre viel zu teuer.
Vom Meer Vertriebene
Besuch bei Seiner Exzellenz im T-Shirt. Anote Tong, bis im letzten Jahr Präsident von Kiribati. In der Nacht ist er von einem Besuch in Europa heimgekehrt. Vorbereitungsgespräche für die Klimakonferenz in Bonn.
In internationalen Foren ist Tong die bekannteste Stimme aus dem Südpazifik. Ein Mann getrieben von Hoffnung, Frustration, Verzweiflung - und Wut. Auf die reichen Industrieländer. Die Klimagasemissionen von Kiribati sind pro Kopf die dritt niedrigsten der Welt. Amerikaner pumpen 45-mal mehr in die Atmosphäre. Doch die Menschen im Pazifik würden am stärksten unter den Folgen leiden, sagt er.
Er reagiert erst diplomatisch auf die Frage, was er vom amerikanischen Präsidenten Donald Trump halte, und dessen Klimapolitik. Dann platzt es aus ihm heraus: «Nichts zu tun ist unmoralisch». Sogenannte Klimawandelskeptiker vergleicht er mit Kriminellen, «weil sie genau wissen, dass sie lügen». Dasselbe gelte für die Befürworter der klimaschädigenden Kohleindustrie.
Weil sie genau wissen, dass sie lügen
Haben tiefliegende Länder wie Kiribati überhaupt eine Chance, langfristig überleben zu können? Tong will fest daran glauben. «Die Alternative wäre, dass unser Land verschwindet. Das ist nicht eine Option, die ich erwäge».
Trotzdem bereitet er Kiribati zur Flucht vor. Seine Regierung kaufte im benachbarten, mehrheitlich höher gelegenen Fidschi Land, wo sich sein Volk niederlassen könnte, wenn das Leben zuhause nicht mehr möglich ist. Sogar den Bau künstlicher Sandinseln – mit Dubai als Vorbild – hat Tong erwogen. Zu teuer.