Judith Cyrus giesst kochendes Wasser ab und wischt sich mit ihrem Ärmel über die beschlagenen Brillengläser. Dann schüttet die fröhliche Frau, die auch in der Küche eine freche Schiebermütze trägt, die weichen Kassave-Stücke in eine tiefe Schüssel und nimmt ein Messer, um damit die zähen Fäden herauszuschneiden.
Während die 52-Jährige Faden um Faden aus den milchig weissen Kassave-Stücken entfernt, erzählt sie, dass diese stärkehaltige Knolle, auch Maniok oder Yuca genannt, in der surinamischen Küche vielerlei Verwendung findet.
Esskultur der versklavten Menschen
Die leidenschaftliche Köchin mit Wurzeln in der ehemaligen niederländischen Kolonie muss es wissen. Sie hat vor kurzem ein Kochbuch über die surinamische Küche verfasst. Darin beschreibt sie auch die Esskultur der versklavten Menschen.
Jene Frauen und Männer, die im 17. und 18. Jahrhundert von niederländischen Handelsherren mit Schiffen aus Afrika nach Surinam und in andere Kolonien deportiert wurden, um dort auf den Kaffee- und Zuckerrohrplantagen zu schuften.
Kassave ist auch ein Bestandteil des Nationalgerichts «Hêrhêri», das an Festtagen wie dem heutigen Keti Koti auf den Tisch kommt. Es wird je nach Familienrezept ausser mit Kassave mit Kochbananen, gesalzenem Fisch und Schlangenbohnen zubereitet. «Ein typisches Sklavenmahl», erklärt Judy Cyrus.
Beim damaligen Sklavenessen sei es nicht ums Geniessen gegangen, sondern nur darum, den Magen zu füllen, erzählt die Niederländerin. Heute gilt Hêrhêri als Delikatesse, für die nur die besten Zutaten verwendet würden.
Vergangenheit prägt bis heute
Die Rezepte in ihrem Kochbuch, auch jenes für Hêrhêri, sind für vier Personen berechnet. Das ist eine Konzession an niederländische Gepflogenheiten, denn in surinamischen Haushalten ist es üblich, reichlich zu kochen, damit auch ein Überraschungsgast satt wird. Auch das sei ein Überbleibsel aus der Sklavenzeit, erläutert Judith Cyrus.
Haussklaven, die kochen mussten, sorgten dafür, dass die Feldsklaven immer etwas zu essen hatten, wenn sie von ihrer schweren Arbeit zurückkehrten. Diese Sorgen für andere seien bis heute tief in der surinamischen Kultur verwurzelt, sagt Judith Cyrus.
Cyrus war vier Jahre alt, als sie mit ihren Eltern aus Surinam in ein Dorf in der Nähe von Amsterdam zog. In der Schule sei sie damals die einzige Schwarze gewesen und deshalb immer auf der Hut. Sie sah anders aus als der Rest der Klasse. Sie hatte eine dunkle Haut und dichtes Kraushaar.
Vergangenheit soll anerkannt werden
Dieses Anderssein habe sie geprägt, sagt die Köchin, während sie in hohem Tempo Salat schneidet. Heute trägt sie ihr Haar ganz kurz. Heute ist sie stolz auf ihre kreolische Herkunft. Sie duckt sich nicht mehr, sondern sagt laut, dass jetzt endlich Anerkennung kommen müsse für die Vergangenheit, für das, was die niederländischen Kolonialherren auch ihren Vorfahren angetan hätten. Die heutige Entschuldigung der Amsterdamer Bürgermeisterin Femke Halsema ist denn auch ein Beginn.
Wir müssen die Vergangenheit thematisieren. Gleichzeitig müssen wir dafür sorgen, dass wir trotz allem miteinander auskommen.
«Wir müssen die Vergangenheit thematisieren. Sie darf kein unbeschriebenes dunkles Kapitel unserer Geschichte bleiben. Gleichzeitig müssen wir aber auch dafür sorgen, dass wir trotz allem miteinander auskommen», mahnt Judith Cyrus.
Hêrhêri, das Festmahl ist inzwischen fast fertig zubereitet. Sie muss nur noch die Schlangenbohnen in mundgerechte Portionen schneiden. Dann kann es serviert werden.