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Korea-Gipfeltreffen im Norden Keine Rede von atomarer Abrüstung in Nordkorea

Es ist der erste Besuch eines südkoreanischen Staatschefs in Nordkorea seit mehr als einem Jahrzehnt. Aber es ist bereits das dritte Gipfeltreffen der Präsidenten von Nord- und Südkorea in kurzer Zeit. Die Zeichen zwischen den beiden Ländern stehen momentan auf Versöhnung. Doch von einer atomaren Abrüstung in Nordkorea kann keine Rede sein.

Noch immer im Kriegszustand

Es heisst offiziell «Verbindungsbüro». De facto handelt es sich aber um eine Botschaft von Südkorea in der nordkoreanischen Stadt Kaesong. Vor wenigen Tagen wurde sie eingeweiht. Dank ihr soll der Kontakt zwischen den beiden Korea, die offiziell immer noch seit Jahrzehnten im Kriegszustand leben, intensiviert werden.

Auch beim jetzigen Gipfeltreffen zwischen dem südkoreanischen Präsidenten Moon Jae-in und seinem nordkoreanischen Amtskollegen Kim Jong-un geht es um Annäherung. Das Treffen soll volle drei Tage dauern: Über mehr wirtschaftliche Zusammenarbeit soll diskutiert werden – trotz der Sanktionen. Über die Reduzierung der militärischen Spannungen. Und letztlich über einen dauerhaften Frieden zwischen den beiden Staaten. Samt formellem Friedensvertrag.

Vor allem der Südkoreaner Moon drückt aufs Tempo. Und sieht sich dabei eher als Vermittler denn als Alliierter der USA.

Gelassenheit in den USA

Also viel Nähe auf einmal. Zu viel Nähe aus amerikanischer Sicht, sollte man meinen. Doch vorläufig schaut man in den USA der Sache erstaunlich gelassen zu. Zwar gibt es im Aussenministerium Stimmen, die irritiert fragen, ob etwa das sogenannte Verbindungsbüro die Sanktionen gegen Nordkorea nicht verletze. Oder ob mehr wirtschaftlicher Austausch derzeit opportun sei.

Doch aus dem Weissen Haus kommt erstaunlich wenig Druck. Und es kommen auch keine «Feuer und Wut»-Reden wie just vor einem Jahr.

Präsident Donald Trump will seinen ersten Gipfel mit Kim Jong-un im Juni in Singapur immer noch als durchschlagenden Erfolg sehen und verkaufen. Er ist sogar bereit zu einem zweiten Treffen.

Das nordkoreanische Regime wiederum verhält sich äusserst geschickt. Es verzichtet auf Raketen- und Atomtests. Der letzte fand vor nun bereits zehn Monaten statt. Auf diese Weise kann Trump so tun, als habe er tatsächlich etwas erreicht.

Wenn es gut ausschaut, ist es gut für Trump

Bloss hinter den Kulissen – damit Trump nicht das Gesicht verliert – treibt Nordkorea das Raketen- und Atomprogramm diskret, aber entschlossen weiter voran. Zu dieser Erkenntnis gelangte inzwischen die UNO-Atombehörde IAEA. Ebenso äusserte sich Anfang Woche die zuständige UNO-Vizegeneralsekretärin, Rosemary DiCarlo.

Kims Vermutung ist, solange es bloss gut ausschaut, ist es gut für Trump. Er scheint die Funktionsweise des US-Präsidenten begriffen zu haben. Und setzt nun einfach darauf, die Sache aussitzen zu können. Allmählich werden die Sanktionen bröckeln, dann vielleicht ganz verschwinden – und er immer noch seine Atombomben besitzen.

Sanktionen werden in Frage gestellt

Dass Kim Erfolg haben könnte, ist keineswegs auszuschliessen. Mit dem Gipfeltreffen in Singapur signalisierte Trump nämlich China, Russland und anderen Ländern, dass eine Normalisierung des Verhältnisses zu Nordkorea absehbar ist.

Manche nahmen das als Aufforderung, schon mal die Sanktionen in Frage zu stellen und sie vor allem weniger konsequent durchzusetzen. Der grösste Hebel, um Druck zu machen auf das nordkoreanische Regime, funktioniert damit bloss noch begrenzt.

Fredy Gsteiger

Diplomatischer Korrespondent

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Fredy Gsteiger ist diplomatischer Korrespondent und stellvertretender Chefredaktor bei Radio SRF. Vor seiner Radiotätigkeit war er Auslandredaktor beim «St. Galler Tagblatt», Nahost-Redaktor und Paris-Korrespondent der «Zeit» sowie Chefredaktor der «Weltwoche».

Hier finden Sie weitere Artikel von Fredy Gsteiger und Informationen zu seiner Person.

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