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Krieg in Äthiopien «In Tigray lässt sich durchaus ein Guerillakrieg führen»

Die Lage in der umkämpften äthiopischen Region Tigray sei «ernst und sehr dringlich», sagt der UNO-Hochkommissar für Flüchtlinge, Filippo Grandi. Es brauche einen uneingeschränkten Zugang für die Hilfsorganisationen in die Region, Hunderttausende Menschen bräuchten Unterstützung.

Was genau in Tigray vor sich geht, wisse man nicht, sagt SRF-Afrikakorrespondent Samuel Burri in Nairobi. Aber es gebe deutliche Hinweise, dass dort Kriegsgräuel verübt würden.

Samuel Burri

Afrika-Korrespondent

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Samuel Burri berichtet seit 2017 für SRF über das Geschehen in Afrika. Er lebt in Nairobi, der Hauptstadt Kenias. Der studierte Historiker war vor seinem Engagement bei SRF als freier Journalist in Ghana und Westafrika tätig.

SRF News: Wie ist die aktuelle Situation in der äthiopischen Region Tigray?

Samuel Burri: Normalität, wie das die Regierung in Addis Abeba behauptet, ist sicher nicht eingekehrt. Die Zahl der Todesopfer im Bürgerkrieg ist mittlerweile offenbar fünfstellig, obschon man das nicht genau weiss – die Region ist weiterhin von der Aussenwelt abgeschnitten.

Es gibt Berichte über Angriffe auf die Zivilbevölkerung und systematische Vergewaltigungen.

Nicht nur Journalisten haben keinen Zugang, auch Hilfsorganisationen können mit ihren Gütern nicht in die Region, obschon Dutzende Lastwagen mit Hilfsgütern bereitstehen würden. Das wenige, das nach aussen dringt, ist beunruhigend: Es gebe Angriffe auf die Zivilbevölkerung, es komme zu systematischen Vergewaltigungen, zwei Millionen Menschen seien dringend auf Lebensmittelhilfe angewiesen.

Umstrittener Premier Abiy Ahmed

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Legende: Reuters

Der seit April 2018 in Äthiopien regierende Ministerpräsident Abiy Ahmed vom Volk der Oromo startete als Hoffnungsträger und Reformer, er erhielt sogar den Friedens-Nobelpreis. Innenpolitisch stehe Abiy seit dem Waffengang in Tigray in manchen Regionen besser da als zuvor, sagt Korrespondent Burri. In jenen Regionen, in denen sich die Menschen etwas mehr Unabhängigkeit vom äthiopischen Zentralstatt wünschen, gehe dagegen die Angst um, es könnte auch sie treffen. «Abiys Problem ist, dass Anfang Juni Wahlen abgehalten werden sollen, bei denen er sich legitimieren lassen will», so Burri. Allerdings sei derzeit völlig offen, ob sie überhaupt stattfinden werden.

Welche Parteien sind in dem im letzten November ausgebrochenen Konflikt involviert?

Die Lage ist etwas unübersichtlich. Im Kern aber sind es Truppen der äthiopischen Armee, die gegen Truppen der tigrayischen Befreiungsfront (TPLF) kämpfen. Die Armee versucht so, die Unabhängigkeitsbestrebungen der Region Tigray zu unterbinden. Inzwischen mischen aber auch Milizen der Amhara – eine Ethnie aus der Nachbarschaft der Tigray – sowie Soldaten der eritreischen Armee in dem blutigen Konflikt mit.

Hilfsaufruf des UNO-Hochkommissars

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Legende: Reuters

Am Montag hatte der UNO-Hochkommissar für Flüchtlinge, Filippo Grandi, nach einem Besuch in der Region Tigray gesagt, dass die humanitäre Lage dort «sehr ernst, sehr dringlich» sei. In Tigray lebende eritreische Flüchtlinge hätten ihm von Gewalt von Seiten eritreischer Truppen sowie der TPLF berichtet, sagte er. Zudem hätten Flüchtlinge aus Tigray in Sudan von Gewalt durch Milizen erzählt. Laut der UNO sind gegen 100'000 Menschen in Tigray auf der Flucht, rund 60'000 hätten sich in Sudan in Sicherheit gebracht. Viele Menschen in Tigray würden keine oder nicht ausreichend Hilfe erhalten. Die grössten Barrieren sind laut Grandi die Sicherheitslage sowie fehlende Genehmigungen durch die Behörden. (dpa)

Welche Interessen verfolgt Eritrea in der Region?

Eritrea verbindet eine alte Feindschaft mit der politischen Elite in Tigray. So dominierte die TPLF-Partei der Tigray lange Jahre die äthiopische Politik – auch in der Zeit, als Eritrea und Äthiopien im Krieg lagen. Unklar ist, ob die eritreischen Truppen quasi zum Konflikt eingeladen wurden oder ob sie sich von sich aus eingemischt haben.

Offenbar holen die eritreischen Truppen vor allem nach Tigray geflüchtete Eritreer zurück. So ist bekannt, dass zwei von vier Flüchtlingslagern mit Zehntausenden Menschen bereits dem Erdboden gleichgemacht wurden. Dabei soll es seitens der eritreischen Soldaten zu Gräueltaten gekommen sein.

Auch zwischen Äthiopien und dem westlichen Nachbarland Sudan ist ein alter Konflikt neu aufgeflammt. Droht hier eine Eskalation?

An der Grenze versuchten äthiopische Truppen, fliehende Tigray aufzuhalten, was zu Scharmützeln mit sudanesischen Soldaten führte. Bislang kam es allerdings nicht zur Eskalation. In der Tat gibt es in der Region zahlreiche umstrittene Gebiete, von denen unklar ist, zu wem sie historisch gehören. Offenbar wird der Tigray-Konflikt von manchen jetzt zum Anlass genommen, um die Verhältnisse neu zu regeln.

Gibt es einen Ausweg aus dem blutigen Tigray-Konflikt?

Für die Zentralregierung ist der Konflikt dann vorbei, wenn alle tigrayischen Kämpfer aufgerieben sind. Doch die Region Tigray ist grösser als die Schweiz und gebirgig. Dort lässt sich durchaus ein Guerillakrieg führen. Entsprechend wird der Konflikt wohl noch länger weiter schwelen – auch wenn man in Äthiopien irgendwann mal so tun wird, als sei alles wieder normal.

Das Gespräch führte Roger Aebli.

SRF 4 News aktuell vom 4.2.2021, 07.50 Uhr ; 

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