Militärische Aktionen
Die russischen Streitkräfte setzten am Montag und Dienstag ihre Offensive im Osten und Süden des Landes fort. Vor allem im Donbass und dem Gebiet der Stadt Mykolajiw im Süden tobten zum Teil heftige Kämpfe. Raketen zerstörten zudem Infrastruktur wie Bahngeleise im Gebiet Dnipropetrowsk.
Die heftigsten Gefechte lieferten sich beide Seiten zuletzt im Gebiet der Zwillingsstädte Sjewjerodonezk und Lyssytschansk nordwestlich von Luhansk im Osten der Ukraine, wie ein Berater des Innenministeriums sagte. Die russischen Truppen versuchen bereits seit Mitte April, die Reihen hier zu schliessen und die ukrainischen Verbände einzukesseln. Serhij Gajdaj, der Gouverneur von Luhansk, sagte im lokalen Fernsehen, die russischen Truppen verfolgten eine Taktik der «verbrannten Erde». Sie wollten Sjewjerodonezk «auslöschen».
Verhandlungen und Diplomatie
Bundespräsident Ignazio Cassis und WEF-Gründer Klaus Schwab haben am Montag das Weltwirtschaftsforum WEF eröffnet. Dabei wurde der ukrainische Präsident via Video zugeschaltet. Er äusserte seine Erwartungen an die Tessiner Wiederaufbaukonferenz. Wolodimir Selenski hofft, dass die grossen Unternehmen und Partnerländer an der Wiederaufbaukonferenz im Juli im Tessin Wege finden und eigene Vorschläge machen würden, um die Ukraine beim Aufbau zu unterstützen, wie Selenski vor der WEF-Gemeinschaft sagte. Es gebe sehr viel zu tun, die Zerstörung sei enorm.
Die Ukraine schliesst einen sofortigen Waffenstillstand mit Russland aus und ist nicht dazu bereit, der Regierung in Moskau territoriale Zugeständnisse zu machen. «Der Krieg muss mit der vollständigen Wiederherstellung der territorialen Integrität und Souveränität der Ukraine enden», schrieb der Stabschef des Präsidialamts, Andrij Jermak, auf Twitter.
Unterdessen hat sich Russlands Präsident Wladimir Putin am Montag in Sotschi mit dem belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko getroffen, um über die Zusammenarbeit der beiden Länder und einen im Aufbau befindlichen Unionsstaat zu reden.
Russland ist nach Angaben eines Putin-Beraters zu einer Wiederaufnahme der Gespräche mit Kiew bereit. Er sehe jedoch die Ukraine im Zugzwang, sagte Wladimir Medinski im belarussischen Staatsfernsehen. Medinski schloss auch ein Treffen zwischen Putin und Selenski nicht aus.
Selenski würde sich mit seinem Amtskollegen Putin als einzigem russischen Vertreter treffen. Dabei würde es auch nur ein einziges Thema geben, das Ende des Krieges, sagt Selenski per Videoschalte vor dem Weltwirtschaftsforum in Davos. Angesichts des russischen Vorgehens gegen Zivilisten in den besetzten Teilen der Ukraine werde es jedoch immer schwieriger, irgendwie geartete Gespräche zu organisieren.
Asowstal-Werk in Mariupol wird durchkämmt
Russische Soldaten durchkämmten unterdessen das Gelände des Stahlwerks Asowstal in Mariupol nach Minen und Sprengfallen, die sowohl ukrainische als auch russische Truppen platziert haben sollen. «Die Aufgabe ist extrem schwierig, der Feind hat seine eigenen Landminen gelegt und wir haben auch Tretminen gelegt, um ihn zu blockieren. Wir haben noch etwa zwei Wochen Arbeit vor uns», sagte ein russischer Soldat gemäss Reuters.

Russland hatte am Freitag erklärt, die letzten ukrainischen Kämpfer aus Asowstal hätten sich ergeben. Die Ukraine hat diese Entwicklung bislang nicht bestätigt. Die Ukraine strebt einen Gefangenenaustausch mit Russland an. In Moskau wurden dagegen Stimmen laut, die gefangengenommenen ukrainischen Soldaten vor Gericht zu stellen.
Kriegsopfer
Getötete Armee-Angehörige: Laut dem ukrainischen Verteidigungsministerium wurden bisher rund 27'400 russische Soldaten getötet (Stand 15. Mai). Russland sprach zuvor von deutlich tieferen Zahlen: Die Rede ist lediglich von mehr als 1000 gefallenen Soldaten. Dagegen seien auf ukrainischer Seite bislang 23'000 Kämpfer getötet worden. Die Zahlen lassen sich nicht überprüfen. Laut britischen Geheimdienstexperten sind die Verluste der russischen Armee in der Ukraine wohl bereits nach drei Monaten Krieg so hoch wie die der Roten Armee in den neun Jahren des sowjetischen Afghanistan-Kriegs.
Zuletzt hatte der ukrainische Präsident Mitte April die eigenen Verluste offengelegt. Damals sprach er von insgesamt etwa 3000 ukrainischen Soldaten, die seit dem russischen Angriff am 24. Februar gestorben seien. Genaue Zahlenangaben hat das Präsidialamt allerdings verweigert. Dies sei ein Kriegsgeheimnis, begründete Präsidentenberater Olexij Arestowitsch.
Zivile Opfer: Laut dem UNO-Hochkommissariat für Menschenrechte haben Beobachter bislang 3838 getötete Zivilisten verifiziert (Stand 19. Mai). 256 Kinder seien getötet worden. Die Experten gehen aber von viel höheren Zahlen aus. Die Ukraine selber zählte bis am 25. April mindestens 3818 getötete und über 4000 verletzte Zivilisten, die Statistik sei jedoch unvollständig, teilte die ukrainische Generalstaatsanwältin Irina Wenediktowa der Nachrichtenagentur Interfax-Ukraine mit.
Flüchtende: Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine sind nach Angaben des UNO-Hochkommissariats für Flüchtlinge (UNHCR) 6.6 Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer aus ihrem Heimatland geflüchtet. Innerhalb der Ukraine befanden sich zudem acht Millionen Menschen auf der Flucht. Zusammen sind das mehr als ein Drittel der gesamten Bevölkerung.
In der Schweiz sind bis Dienstag 52’964 Flüchtlinge aus der Ukraine registriert worden. Das waren 2089 mehr als am Montag, wie das Staatssekretariat für Migration (SEM) per Twitter bekannt gab. 50’103 Ukraine-Flüchtlinge haben gemäss den Angaben bisher den Schutzstatus S erhalten. Das sind 30 weniger als am Vortag.