Militärische Situation
Nach der völligen Einnahme der Region Luhansk im Osten der Ukraine nehmen die russischen Streitkräfte jetzt zunehmend das Gebiet um Donezk ins Visier. Der Gouverneur der Region Donezk, Pawlo Kyrylenko, rief am Mittwoch die Bevölkerung auf, die Region zu verlassen. Gemäss Militärexperten dürfte die russische Seite ihre Vorteile in der Artillerie zunehmend ausspielen.
Die prorussischen Separatisten im Osten verlegten Kampfeinheiten in Richtung Donezk. Dies folge auf die «Befreiung» von Luhansk, zitierte die russische Agentur Tass den Anführer der selbsternannten Volksrepublik Donezk, Denis Puschilin.
Die ukrainischen Truppen haben nach eigenen Angaben einen Angriff des russischen Militärs im Gebiet Donbass im Osten der Ukraine zurückgeschlagen und dem Feind erhebliche Verluste zugefügt. Die Okkupanten hätten sich zurückgezogen, teilte der Generalstab in Kiew mit. Unabhängig überprüfen liessen sich diese Angaben nicht. Die Kämpfe ereigneten sich rund 10 bis 15 Kilometer westlich der weitgehend zerstörten Grossstadt Lyssytschansk.
Auch südlich davon im Raum Bachmut sei es gelungen, den russischen Vormarsch zu stoppen und bei den Angreifern für «Ausfälle» zu sorgen, hiess es in dem Bericht.
Auch auf den Süden der Ukraine richtete die russische Armee ihre Angriffe. In Mykolajiw seien am Dienstag russische Raketen eingeschlagen, berichtete Bürgermeister Olexander Senkewytsch.
Verhandlungen und Diplomatie
Bundespräsident Ignazio Cassis und der ukrainische Regierungschef Denis Schmyhal haben zum Abschluss der Ukraine-Wiederaufbau-Konferenz in Lugano die «Erklärung von Lugano» vorgestellt. Darin sichern die Konferenzteilnehmer der Ukraine volle Unterstützung beim Wiederaufbau zu und bekräftigen, dass Integrität, Transparenz und Rechenschaftspflicht für den Erfolg des Wiederaufbaus unerlässlich seien. Beim Wiederaufbau des Landes sei auf bestehende Strukturen aufzubauen. Überdies beabsichtigt die Erklärung eine Verknüpfung des Wiederaufbaus mit einer umfassenden Reformagenda.
Mehr als 40 Staaten und 18 internationale Organisationen haben sich bei der Konferenz in Lugano zur Hilfe beim Wiederaufbau der Ukraine bekannt.
Neben konfiszierten Geldern von russischen Staatsbürgern sollten auch Mittel aus dem Budget des ukrainischen Staats sowie Zuschüsse von Partnern in den Wiederaufbau fliessen, erklärte Schmyhal.
Zu Beginn der Konferenz in Lugano, hatte die ukrainische Regierung Vorstellungen zum Wiederaufbau des Landes vorgelegt. Der ukrainische Regierungschef schätzte, dass hierfür mindestens 750 Milliarden Dollar (knapp 720 Milliarden Franken) notwendig seien.
Nebst ihrem Beitritt zur Europäischen Union will die Ukraine auch der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) beitreten. Er habe einen entsprechenden Antrag seines Landes gestellt, teilte Ministerpräsident Denys Schmyhal am Dienstag im Nachrichtendienst Telegram mit. Die Mitgliedschaft der Ukraine in der OECD sei «einer der Eckpfeiler des erfolgreichen Wiederaufbaus und der Entwicklung» der Ukraine.
Am Donnerstag und Freitag kommen auf Bali in Indonesien die Aussenminister der G20 zusammen. Seine Anwesenheit hat auch der russische Aussenminister Sergej Lawrow angekündigt. Die deutsche Aussenministerin und ihr amerikanischer Amtskollege, Antony Blinken, betonten bereits im Vorfeld des Gipfels, dass sie Russland zu isolieren versuchen.
Blockierter Getreideexport
Die Ukraine beklagt, dass ihre Häfen im Schwarzen Meer durch die russische Kriegsmarine blockiert seien. Beide Länder gehören zu den grössten Weizenexporteuren und spielen eine wichtige Rolle bei der Ernährungssicherheit in der Welt. Die Vereinten Nationen warnten zuletzt schon vor der grössten Hungersnot seit Jahrzehnten.

Inzwischen steht in der Ukraine bereits die nächste Ernte an. Der Landwirtschaftsminister der Ukraine, Taras Vysotskiy, sprach von einer erwarteten Ernte von mehr als 50 Millionen Tonnen Getreide. Mindestens 30 Millionen seien für den Export vorgesehen.
Kriegsopfer
Armeeangehörige: Ein genaues Bild über Todesopfer – sowohl auf russischer wie auf ukrainischer Seite – gibt es nicht. Die Angaben und Schätzungen gehen weit auseinander.
Etwa 10'000 Soldaten der ukrainischen Armee sind nach Angaben eines Beraters von Präsident Selenski von Mitte Juni seit der russischen Invasion im Februar bis zum 10. Juni getötet worden. Die Ukraine geht davon aus, dass mittlerweile über 36'000 russische Armeeangehörige ihr Leben verloren haben (Stand 3. Juli). Westliche Experten zweifeln diese Zahl an.
Zudem meldete Moskau vergangene Woche, bislang seien 6000 ukrainische Militärangehörige durch die russische Seite festgenommen worden oder hätten sich ergeben. Zu russischen Opferzahlen gibt es von russischer Seite keine Angaben mehr.
Zivile Opfer: Laut dem UNO-Hochkommissariat für Menschenrechte haben Beobachter bislang allein im Monat Juni 361 getötete und 1029 verletzte Zivilisten durch den Angriff der Russischen Föderation auf die Ukraine gezählt. Man gehe jedoch davon aus, dass die tatsächlichen Zahlen erheblich höher seien. Explosionswaffen mit grossflächiger Wirkung verursachten 98% dieser Opfer, teilt das UNO-Hochkommissariat auf Twitter mit. Das internationale Kriegsrecht verbietet wahllose Mittel und Methoden der Kriegsführung. Zivilisten sind kein Ziel.
Gemäss ukrainischen Polizeiangaben sind bisher mehr als 12'000 Zivilistinnen und Zivilisten umgekommen.
Flüchtende: Mehr als acht Millionen Menschen haben seit dem russischen Angriff auf die Ukraine das Land verlassen. Das teilt das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) mit. Innerhalb der Ukraine befinden sich mehrere Millionen Menschen auf der Flucht.
In der Schweiz haben bis Mittwoch 58'735 Geflüchtete aus der Ukraine den Schutzstatus S beantragt, wie das Staatssekretariat für Migration (SEM) auf Twitter bekannt gab. 56'795 Personen haben bisher diesen Status erhalten.