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Krise an griechischer Grenze «Es herrscht Furcht vor einem möglichen Massenansturm»

Während die Türkei die Tore für Flüchtlinge und Migranten nach Europa öffnet, macht Griechenland die Grenze dicht. Athen hat den Grenzschutz massiv verstärkt und nimmt mindestens einen Monat lang keine Asylgesuche mehr an. Die Nerven liegen blank, vor allem auf den Ägäisinseln, wie die Journalistin Rodothea Seralidou berichtet.

Rodothea Seralidou

Freie Journalistin

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Die Journalistin berichtet seit 2011 für SRF und ARD aus Griechenland. Sie lebt in Athen.

SRF News: Was bezweckt die griechische Regierung mit den neuen Massnahmen?

Rodothea Seralidou: Die Migranten und Flüchtlinge sollen daran gehindert werden, nach Griechenland zu gelangen. Die massive Präsenz von Polizei und Militär entlang der Grenze zur Türkei soll der eigenen Bevölkerung auch zeigen, dass sie sich sicher fühlen kann. Bei den Migranten andererseits sollen die Massnahmen eine abschreckende Wirkung haben.

Sind die getroffenen Massnahmen rechtens?

Rechtlich problematisch ist, dass denjenigen, die es trotz allem nach Griechenland schaffen, das Recht auf einen Asylantrag verweigert wird. Die griechische Regierung argumentiert, es handle sich um eine aussergewöhnliche Notlage, die von der türkischen Regierung ausgelöst worden sei. Die Migranten und Flüchtlinge würden von Ankara instrumentalisiert, um die EU unter Druck zu setzen. Deshalb sei eine strengere Handhabung des Asylrechts legitim. Menschenrechtsorganisationen und das UNHCR dagegen sprechen von einer Verletzung der Genfer Flüchtlingskonvention.

Rund 20'000 Migranten im Grenzgebiet

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Derzeit ist die Situation entlang der 212 km langen türkisch-griechischen Landgrenze etwas ruhiger als in den vergangenen zwei Tagen, wie Stella Nanou vom UNHCR sagt: Auf der türkischen Seite befinden sich rund 20'000 Menschen, die versuchen, irgendwie nach Griechenland zu gelangen. Darunter sind auch Familien mit kleinen Kindern. Viele Migranten und Flüchtlinge sind inzwischen daran, der Grenze entlang in Richtung Süden zu ziehen. Sie suchen nach einer Möglichkeit, in weniger bewachtem Gebiet den Grenzfluss Evros zu überqueren und so nach Griechenland zu gelangen. Wer es über die Grenze schafft, wird von den griechischen Behörden entweder festgenommen oder in ein Empfangszentrum gebracht.

Die Landgrenze zwischen der Türkei und Griechenland ist über 200 Kilometer lang. Kann man sie lückenlos sichern?

Nein. Griechenland hat Soldaten aus dem ganzen Land an die Grenze beordert, um sie zu schützen. Auch wenn die Armee mit modernsten Geräten ausgerüstet ist, ist eine lückenlose Sicherung nicht möglich.

Auch mit modernsten Geräten ist eine lückenlose Sicherung der griechischen Grenze nicht möglich.

Es gibt auch Berichte, wonach Migranten von türkischen Polizisten an Stellen geführt werden, wo die Grenze nicht durch einen Zaun gesichert ist. In den vergangenen Tagen nahmen die Griechen jeweils mehrere Dutzend Menschen fest. Dabei dürfte die Dunkelziffer derer, die tatsächlich nach Griechenland gelangen konnten, ein Vielfaches höher sein .

Wie reagieren die Griechinnen und Griechen, die an der Grenze wohnen, auf die neue Situation?

Die meisten von ihnen sehen bislang keine Flüchtlinge. Sie versuchen vor allem, die griechischen Einsatzkräfte zu unterstützen – etwa, indem sie diese mit gekochtem Essen versorgen. Allerdings herrscht durchaus Furcht vor einer Situation, in der Hunderttausende Menschen aus der Türkei nach Griechenland strömen könnten.

Viele Flüchtlinge und Migranten versuchen auch eine Überfahrt auf die ägäischen Inseln. Inwiefern verschärft das die Lage dort?

Allein am Sonntag kamen rund 1000 Menschen auf den Inseln an, auf denen die Flüchtlingslager sowieso schon seit Monaten oder gar Jahren grenzenlos überfüllt sind. Zwar sind die griechische Küstenwache und das Militär mit 52 Schiffen und Booten vor Ort, doch sie schaffen es höchstens, einen kleinen Teil der Seegrenze zu sichern.

Die Situation auf den Inseln droht zu eskalieren.

Die türkische Küstenwache hat die Zusammenarbeit ausgesetzt – in manchen Fällen sollen Flüchtlingsboote sogar von türkischen Schiffen bis zur griechischen Seegrenze eskortiert worden sein. Damit droht die ohnehin schon angespannte Stimmung der Griechen auf den Inseln zunehmend zu eskalieren.

Das Gespräch führte Claudia Weber.

EU-Vertreter zeigen Präsenz in der Region

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EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen macht sich heute am Grenzort Orestiada auf griechischer Seite zusammen mit EU-Ratschef Charles Michel und dem Präsidenten des Europaparlaments, David Sassoli, ein Bild der Lage. «Die Griechen erwarten von der EU nicht bloss Solidarität mit Worten, sondern auch, dass Brüssel Erdogan in die Schranken weist und ihn zwingt, seine Taktik der Bedrohung mittels der Flüchtlinge beendet», sagt Journalistin Seralidou.

Derweil wurde bekannt, dass der EU-Aussenbeauftragte Josep Borrell heute noch für Krisengespräche in die Türkei reist. Er wird vom EU-Kommissar für Krisenmanagement, Janez Lenarcic, begleitet. Bei den Beratungen gehe es um die Eskalation der Auseinandersetzungen in der nordwestsyrischen Provinz Idlib und die humanitären Konsequenzen für die dortige Zivilbevölkerung sowie um die Situation der syrischen Flüchtlinge in der Türkei, hiess es aus Brüssel.

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