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Machtvakuum im Irak beendet «Der neue Premier geht angeschlagen ins Amt»

Irak hat wieder eine Regierung. Das Parlament hat am Donnerstag dem neuen Ministerpräsidenten Mustafa al-Kasimi und 15 Ministern das Vertrauen ausgesprochen. Vergangenes Jahr war der letzte Regierungschef nach monatelangen Protesten zurückgetreten. Die leeren Kassen seien jetzt eine Hauptaufgabe des Neuen, sagt die Journalistin Inga Rogg.

Inga Rogg

Journalistin

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Inga Rogg ist freie Journalistin in Jerusalem. Sie berichtete zunächst für die NZZ von 2003 bis 2012 aus Bagdad, dann bis 2019 aus Istanbul. Von 2019 bis 2023 war sie NZZ-Korrespondentin in Jerusalem. Seit Sommer 2023 arbeitet sie als freie Journalistin.

SRF News: Kann der neue Regierungschef Ruhe ins Land bringen?

Inga Rogg: Er kann zumindest im Regierungslager ein wenig für Ruhe sorgen. Der Streit ist nicht ganz vorbei, al-Kasimi geht angeschlagen ins Amt. Aber Irak hat wieder einen Regierungschef, und das ist ganz wichtig für das Land.

Mustafa al-Kasimi war vorher Geheimdienstchef. Was zeichnet ihn sonst aus?

Er gehört der schiitischen Mehrheit an. Das muss so sein, weil die Schiiten die Mehrheit im Parlament haben. Er ist ein guter Freund von Präsident Barham Salih, ein Kurde, und er kommt aus der Opposition. Al-Kasimi lebte wie viele aktuelle Politiker lange im Exil. Er gilt als Pragmatiker und guter Verhandler. Man sagt ihm gute Kontakte zum saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman nach und er kommt auch mit den Iranern einigermassen zurecht.

Wie reagiert die Bevölkerung auf das neue Kabinett?

Gemischt. Doch die Mehrheit will abwarten, was er zustande bringt. Schon viele Regierungschefs haben ihre Versprechen nicht gehalten. Zwar ist die Protestbewegung infolge der Coronakrise etwas zum Erliegen gekommen. Letzte Nacht gingen aber in Bagdad sofort Hunderte auf die Strasse. Sie protestierten gegen Al-Kasimi, weil sie ihn als Mitglied des Establishments loswerden wollen. Seine wichtigste Aufgabe wird es sein, Geld aufzutreiben. Sein Vorgänger hat offensichtlich angeordnet, dass im Mai keine Gehälter ausgezahlt werden. Das war letztmals nach dem Sturz von Saddam Hussein vor 17 Jahren der Fall.

Al-Kasimi hat damit geschafft, was zwei andere Kandidaten vor ihm nicht gelang – nämlich eine Regierung zu bilden.
Legende: Endlich wieder eine Regierung: Mustafa Al-Kasimi hat geschafft, was zwei anderen Kandidaten vor ihm nicht gelang. Keystone

Grossen politischen Einfluss in Irak haben die USA und Iran. Wie wird dort die neue Regierung aufgenommen?

Beide Seiten haben die neue Regierung begrüsst und Al-Kasimi beglückwünscht. Der US-Aussenminister hat versprochen, dass eine Ausnahmeregelung für den Irak verlängert wird, aus Iran Erdgas beziehen zu können. Das ist schon einmal ein Geschenk. Man hat den Eindruck, dass Washington sehr viel positiver gestimmt ist über die Wahl als Teheran. Doch auch Teheran kann erst einmal mit Al-Kasimi leben.

Irak leidet unter der Coronakrise und unter dem tiefen Ölpreis. Was will die neue Regierung dagegen tun?

Al-Kasimi hat versprochen, sofort mit dem Internationalen Währungsfonds und der Weltbank zusammenzuarbeiten. Er hat einen sehr guten und international angesehenen Finanzminister, wenn es um solche Verhandlungen geht. Ansonsten hat er Reformen versprochen und Neuwahlen angekündigt. Dazu braucht es aber ein neues Wahlgesetz, über welches das Parlament allerdings weiter streitet.

Die Regierung ist noch nicht komplett und Neuwahlen sind angekündigt. Wie stabil ist die Lage in Irak?

Stabil ist die Lage nicht. Aber das ist schon seit Jahren so. Al-Kasimis Vorgänger hat die Zeit nicht genutzt, den Irak zu stabilisieren – trotz voller Kassen. Die Voraussetzungen für Al-Kasimi sind also bedeutend schlechter. Die extrem schlechte Finanzlage macht alles sehr schwierig.

Das Gespräch führte Roger Aebli.

SRF 4 News, 08.05.2020, 08:00 Uhr ; 

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