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Macrons Europa-Offensive Wahlkampfgetöse aus dem Élysée

Führende Tageszeitungen in allen 28 EU-Mitgliedstaaten haben einen Appell von Emmanuel Macron publiziert. Darin fordert der französische Präsident eine ganze Reihe von Reformen für die EU – und warnt, Europa sei noch nie in so grosser Gefahr gewesen. Doch auch wenn Macron auf dem ganzen Kontinent weibelt: Sein Plädoyer für eine Erneuerung Europas sei vor allem ans heimische Publikum gerichtet, sagt Frankreich-Korrespondent Daniel Voll.

SRF News: Warum greift Macron gerade jetzt das Thema einer grossangelegten EU-Reform auf?

Daniel Voll: In knapp drei Monaten sind Europawahlen. Macron steckt mitten im Wahlkampf. Mit dem Urnengang steht nicht nur für Europa viel auf dem Spiel, wie Macron in seinem Artikel schreibt, sondern auch für ihn und seine Partei. Aus innenpolitischen Gründen wäre es sehr wichtig für den Präsidenten, dass seine Liste in Frankreich am meisten Stimmen macht.

Warum veröffentlicht Macron seinen Appell in allen EU-Mitgliedstaaten, wenn er vor allem Wahlkampf im eigenen Land betreibt?

Macron hat ja nicht nur eine innenpolitische Agenda. Schon in seinem Wahlkampf für die Präsidentschaft hat er immer auch Europa im Blick gehabt. Er ist überzeugt, dass Europa nur als starke Union eine Zukunft hat. Darum ist Macron auch gegen den Rückfall in den Nationalismus, wie ihn etwa Ungarns Premierminister Viktor Orban anstrebt. Auch in Frankreich hat der Nationalismus mit Marine Le Pen Aufwind.

Marine Le Pen
Legende: Auch sie rührt derzeit die Wahlkampftrommel, allerdings mit gänzlich anderen Inhalten als Präsident Macron. Marine Le Pen fordert vor allem eines: Weniger Europa und mehr Frankreich. Keystone

Ist es realistisch, dass Macrons Reformvorschläge umgesetzt werden?

Es ist nicht Macrons grösste Sorge, dass diese Vorschläge rasch umgesetzt werden. Es dürfte ihm vor allem darum gehen, für ein Projekt anzutreten, und nicht einfach gegen die Re-Nationalisierung. Wenn man die Vorschläge im einzelnen betrachtet, erkennt man, dass Macron weit eine verbreitete Kritik an der EU aufnimmt, die gerade aus dem rechten und nationalistischen Spektrum kommt.

Kommentatoren zitieren den ‹Jupiter-Präsidenten›, der Europa Lektionen erteilen möchte, aber zuhause noch sehr viel Arbeit hätte.

Zum Beispiel wirbt er für einen stärkeren Schutz der EU-Aussengrenzen oder für eine neue Definition der Wettbewerbspolitik. Das ist auch eine Reaktion auf die Globalisierungskritik und die Forderung, dass Europa seinen Binnenmarkt besser schützen soll.

Welche Reaktionen hat Macron mit seinen Reformvorschlägen in Frankreich ausgelöst?

In den Medien wird der Artikel sehr unterschiedlich kommentiert. Einige Kommentatoren zitieren den «Jupiter-Präsidenten», der Europa Lektionen erteilen möchte, aber zuhause noch sehr viel Arbeit habe. Andere Kommentatoren sagen, dass Präsident Macron auch in anderen Ländern Überzeugungsarbeit leisten müsse, wenn er auch nur einen Teil seiner Vorschläge tatsächlich umsetzen will. Dass er von der Opposition – egal ob von links oder rechts – kritisiert wird, gehört zum politischen Geschäft. Schliesslich ist Wahlkampf.

Das Gespräch führte Hans Ineichen.

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