Die politische Krise in Mazedonien ist eskaliert. Rund 100 nationalistische Demonstranten haben das Parlament in Skopje gestürmt. Es kam zu einer Schlägerei. Mindestens zehn Menschen wurden verletzt, auch Oppositionsführer Zoran Zaev. Um Mitternacht räumte die Polizei das Gebäude – mit Tränengas.
SRF News: Ist die Stimmung in Mazedonien wirklich so explosiv?
Walter Müller: Ja, die Situation ist tatsächlich sehr alarmierend. Als die Polizei das Parlament geräumt hatte, zogen sich die Demonstranten vor das Gebäude zurück. Bis gegen Mitternacht war die Innenstadt mit hoher Polizeipräsenz besetzt. Schlägereien gab es zwar keine mehr. Aber politisch bleibt die Lage explosiv.
Welcher Konflikt steckt hinter dieser Eskalation?
Mazedonien steckt seit 2015 im Dauerkonflikt und ist politisch komplett gelähmt. Im Moment geht es darum, wer die Regierung bilden kann. Nach den Parlamentswahlen im Dezember bekam die regierende nationalkonservative Partei von Nikola Gruevski zwar knapp eine Mehrheit. Die VMRO konnte dann aber keine Regierungsmehrheit zustande bringen. Denn die grosse albanische Partei Mazedonies, DUI, die bis anhin mit Grevski zusammengearbeitet hat und in der Regierung war, wechselte die Seite: von Guevski zu den Sozialdemokraten. Denn die albanischen Parteien – unter ihnen auch DUI – machten unter anderem zur Koalitionsbedingung, dass Albanisch zur zweiten Landessprache erhoben wird. Die Sozialdemokraten willigten ein und kamen damit, zusammen mit der albanischen DUI, auf eine Regierungsmehrheit.
Präsident Gjorge Ivanov rief zu Gewaltverzicht auf und forderte, dass sich alle beruhigen. Doch er spielt selber eine wichtige Rolle in dieser Krise…
Präsident Ivanov ist ein Brandstifter. Er hat den Konflikt befeuert, denn er weigerte sich Anfang März, den Sozialdemokraten von Zoran Zaev den Regierungsauftrag zu erteilen. Dies obwohl sie die Mehrheit hatten, um die Regierung zu stellen. Seine Begründung: Die nationale Einheit und die Souveränität des Landes seien gefährdet, weil die Sozialdemokraten auf die Forderungen der Albaner eingegangen seien.
Die konservativ-nationalistische Partei von Ministerpräsident Gruevski will den Konflikt ethnisch instrumentalisieren.
Im Jahr 2001 kam es beinahe zu einem Bürgerkrieg zwischen albanischen und mazedonischen Volksgruppen. Geht es wieder um diesen Konflikt?
Eben gerade nicht. Die konservativ-nationalistische Partei von Ministerpräsident Gruevski will jedoch den Konflikt ethnisch instrumentalisieren. Damit will er ablenken. Er war mit seiner Partei VMRO über zehn Jahre an der Macht, hat den ganzen Staat korrumpiert, die staatlichen Institutionen unter seine Kontrolle gebracht, sie unterlaufen oder nach seiner Pfeife tanzen lassen. Nun wird es eng für ihn, denn die Staatsanwaltschaft führt im Zusammenhang mit einem riesigen Lauschangriff und Korruption Untersuchungen gegen ihn. Deshalb haben er und seine Partei ein grosses Interesse daran, wieder die ethnische Karte zu spielen.
25 Prozent der mazedonischen Bevölkerung sind Albaner
Die Albaner in Mazedonien bilden die grösste ethnische Minderheit des Landes. Laut der letzten Volkszählung in Mazedonien aus dem Jahre 2002 wird ihre Zahl mit gut einer halben Million Personen angegeben. Das entspricht einem Viertel der Gesamtbevölkerung. |
Für heute hat der Präsident die Parteichefs zu Beratungen über die Lage eingeladen. Wie könnte es nun weitergehen?
Das weiss niemand so genau. Wollte man die demokratischen Regeln befolgen, müsste Präsident Ivanov den Sozialdemokraten und der albanischen DUI-Partei den Regierungsauftrag geben. Ob er das tut, ist offen. Wichtig ist aber, dass man den Blick nicht nur auf Mazedonien richtet. Denn das könnte der Auslöser für weitere Konflikte sein. Wir haben Schwierigkeiten mit den Parlamentswahlen in Albanien, es gibt Probleme zwischen Kosovo und Serbien. Und Bosnien-Herzegowina steht im Moment sowieso auf wackeligen Beinen. Alle Akteure müssen die ganze Region im Auge behalten und sich nicht nur auf den Konflikt in Mazedonien konzentrieren.
Das Gespräch führte Roger Aebli.
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