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Merkel vor EU-Parlament Die «Königin von Europa» ist entthront

Es war einmal eine Zeit, da gab es in Europa eine Königin. Die konservative britische Zeitung «Daily Telegraph» krönte Angela Merkel 2013 zur «Queen of Europe». Die deutsche Kanzlerin war damals unbestritten die mächtigste Frau, die mächtigste aller Politiker in der EU. Doch seither hat Angela Merkel im Machtgefüge der EU dramatisch an Einfluss verloren. Was ist passiert?

Seit 13 Jahren vertritt Merkel im Europäischen Rat – dem wichtigsten Organ der EU – den bevölkerungsreichsten und wirtschaftsstärksten Mitgliedsstaat. In den oft nächtelangen Sitzungen mit den anderen Staats- und Regierungschefs galt sie als die erfolgreichste Verhandlerin: dank ihrer Kaltblütigkeit und weil sie nie den Fehler beging, ihre Gegner blosszustellen.

Die scheinbar ewige Kanzlerin

Die anderen Staats- und Regierungschefs im Europäischen Rat kamen und gingen – Merkel blieb. Fast wie eine Königin. Sie gab den Ton an, leise, aber bestimmt. Auch ihre schärfsten Kritiker respektierten sie, vom Griechen Alexis Tsipras bis zum Ungaren Viktor Orban.

Nach Beginn der Weltfinanzkrise 2007 verlangte Merkel von den Krisenländern im Süden der EU, dass sie ihre Staatsausgaben senken. In den betroffenen Staaten wurde Merkel zur Buhfrau, doch im Norden der EU erhielt sie viel Applaus.

Zum Problem für Merkel wurde dann aber der West-Ost-Graben. Mit ihrer Flüchtlingspolitik brachte sie viele osteuropäische EU-Staaten gegen sich auf, und auch im Westen bröckelte die Unterstützung für die deutsche Kanzlerin.

Stolperstein Flüchtlingspolitik

Mit ihrer Forderung nach einer dauerhaften Verteilung von Flüchtlingen ist sie gescheitert. Auch bei sich in Deutschland sah sie sich zu einem Kurswechsel gezwungen.

Den Ton in der Flüchtlingspolitik geben heute in der EU andere an, zum Beispiel der Österreicher Sebastian Kurz. Und als grosser EU-Reformator will sich der Franzose Emmanuel Macron profilieren.

Wer folgt auf Merkel?

So unterschiedlich die Sicht der beiden Politiker auf die EU auch sein mag: Beide haben ihre Vision unter die gleiche Formel gestellt. Kurz spricht vom «Europa, das schützt», Macron will «l’Europe qui protège».

Solche grossen Worte waren nie Merkels Sache. Sie erreichte ihre Ziele auf leisen Sohlen, mit kleinen Schritten. Bis sie stolperte.

Jetzt ist die «Queen of Europe» entthront. Doch ein Thronfolger ist nicht in Sicht. Macron und Kurz haben Visionen, aber ihnen fehlt das politische Gewicht, das Angela Merkel noch vor wenigen Jahren in die Waagschale werfen konnte.

Sendebezug: Tagesschau vom 13.11.2018, 18 Uhr

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