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Mit Rap gegen Rassismus Telma Tvon und das andere Portugal

Die Rapperin gibt der afrikanisch-stämmigen Bevölkerung eine Stimme. Nun wurde aus einem Sprechgesang ein Roman.

Portugal wird immer wieder international gelobt für seine Integrationspolitik. Doch nicht alle sind der Meinung, dass dieses Lob verdient ist. Im Land gibt es kritische Stimmen – viele aus den Reihen der afrikanisch-stämmigen Bevölkerung. Sie beklagen Diskriminierung und Rassismus. Eine dieser Stimmen ist die Rapperin Telma Tvon. Sie wehrt sich nicht nur mit ihrer Musik. Sie hat auch einen Roman geschrieben über das Leben schwarzer Jugendlicher in Portugal.

Dabei wollte sie eigentlich nie Autorin sein – nicht öffentlich sein. Sie wollte nicht antworten müssen auf Journalistenfragen. Sie wollte nur Telma Tvon sein, die Künstlerin, die man in der Rap-Szene von Lissabon kennt.

«Es gab keine Geschichten über sie, keine Lieder, nichts.»

«So ist Rap», skandiert sie, «Rap zum Denken, Rap zum Tanzen, kein Minister kommt dagegen an, weil Rap unsere Kunst ist, eine Kunst die von der Strasse kommt». Genau so wollte die 38-jährige Telma Tvon auch von Jugendlichen in den Schwarzen-Vierteln der Region um Lissabon erzählen. Sie hatte bemerkt, dass niemand über diese sprach, dass sie nicht wahrgenommen wurden. Es gab keine Geschichten über sie, keine Lieder, nichts.

Ein Buch statt ein Rap

Beim Rap sollte es allerdings nicht bleiben. Telma Tvons Geschichte hat sich verselbständigt: «Ich habe das Mass eines Rap-Textes schnell überschritten, ich habe immer weitergeschrieben, und plötzlich waren 20 Seiten voll. So spürte ich, dass da etwas aus mir hervorbricht. Dass ich über ein Thema schreibe, das mich verfolgt, das mir sehr wichtig ist.»

Ihre Schwester, ihre Mutter, ihre Grossmutter, alle hätten sie beschworen, jetzt ja nicht aufzuhören, sondern dranzubleiben und statt eines Raps einen Roman zu schreiben. «Ich zögerte sehr und war unsicher, und dann, am Ende, lag ein Manuskript auf dem Tisch mit 180 Seiten.»

Woher kommst Du?

Es sei nicht ihre persönliche Geschichte. Ihre Hauptfigur ist ein junger Mann, er kommt von den Kapverden. Sie selbst ist heute Portugiesin. Sie ist vor 25 Jahren aus Angola gekommen. Aber die Frage nach ihrer Herkunft mag sie nicht.

Immer wieder werde diese Frage gestellt: Woher kommst Du? Und die Frage entstehe nicht, wenn sie aus ihrem Leben erzähle: Nein, sie steht am Anfang des Gesprächs. Das heisst, dass die Leute heute nicht akzeptieren, dass man mit dunkler Hautfarbe Portugiesin sein kann. Die Frage sagt: Du gehörst nicht hierhin.

Erlebnisse aus erster Hand

Auch João, der Jugendliche, dessen Geschichte Telma Tvons Roman erzählt, erlebt diesen leisen Rassismus zwischen den Zeilen und kommt zum Schluss, Portugal sei kein Land für Schwarze, für Negros, wie sie sich selbst nennen, es sei kein Land für Minderheiten.

Telma Tvon ist Soziologin. Sie lebt und arbeitet als Sozialarbeiterin im Lissabonner Vorort Monte Abraão. Dort findet sie ihren Stoff, dort sieht und hört sie tagtäglich, wie jugendliche Schwarze ausgegrenzt werden. Viele von ihnen sind in Portugal geboren.

«Du wirst einmal putzen gehen»

Die Schule trage zur Verunsicherung bei, sagt Telma Tvon, und Schule heisst: Lehrer und Schüler. Die Schüler tragen auf den Pausenplatz, was sie zu Hause hören. Spiel nicht mit den Schwarzen, sagen die Eltern der Kinder. Und das hört man dann. Und die Lehrer werden manchmal auch sehr direkt und sagen zum Beispiel, was machst du in dieser Schule, du wirst einmal putzen gehen, du kommst nicht weit.

Im Geschichtsunterricht habe ein Lehrer die Sklaven in Afrika mit Affen verglichen, hörte ich. Das sagen natürlich nicht alle, aber es kommt eben vor. Zwei Schülerinnen erzählten mir, man hätte auf sie gezeigt und gesagt, «die sind jetzt hier, aber die andern hungern in ihrem Land».

Denkmuster «Wir gegen Euch»

Wie soll ein Kind mit solchen Bemerkungen umgehen? Das fragt Telma Tvon. Und: Es gebe ein Denkmuster, das immer von einem «Wir gegen Euch» ausgehe. Von zwei Lagern, von einer Trennung. Es gibt in diesem Denken nichts Gemeinsames. «Warum», fragt Telma Tvon, «sind 20-Jährige heute noch stolz auf die Kolonialisten, auf deren Eroberungen, auf deren Gewalt in anderen Ländern? Ich verstehe das nicht.»

Wenn man heute von den Gefühlen der Schwarzen rede, höre man schnell den Vorwurf, man rede sie in eine Opferrolle. Dabei hätten sie doch das Privileg, hier zu leben. Man stelle sich einmal vor, was die in Afrika zu erwarten hätten, heisse es dann. «Aber es wäre falsch, deswegen nicht zu reden. Selbst wenn sich jemand als Opfer fühlt, muss er das sagen können.»

Ruhig, hart und offen – als Therapie

Auch João redet im Roman davon, aber der junge Mann ist ein leiser Beobachter, keiner, der laut aufbegehrt. Der herbe Protest des Raps ist nicht seine Sache. Telma Tvon antwortet auf den Hinweis erst mit einem Lächeln: «Ja, das war eine Entscheidung, und sie geht eigentlich gegen meine Art, gegen mein Temperament.» Es gebe zwei Arten sich zu verhalten, wenn etwas nicht gut laufe. «Man ist zornig und frustriert, macht aber nichts darüber hinaus, weil Frust und Zorn lähmend sind.»

Oder man rede offen darüber: João, im Roman, tut genau das. «Er tritt nicht leichtfüssig auf, nein, er redet hart, seine Ironie ist manchmal sehr hart. Ich muss nicht zornig reden, wenn ich etwas kritisiere. Ruhig zu bleiben und offen zu reden ist eine Therapie.»

«Ich bleibe hier, ob euch das passt oder nicht»

Telma Tvon ist nicht verbittert. Sie kritisiert ihr Land, weil sie es liebt. Ihre Schwester ist zurückgekehrt nach Angola, ihre Eltern lebten immer in Angola. Sie bleibt, aber sie schweigt nicht.

«Ich rede von Dingen, die unangenehm sind. Es geht darum, dass wir, dass unsere Gemeinschaft, eine Stimme erhalten, dass wir sichtbar werden für die andern, dass sie uns beachten und hören: Auch ich bin eine Portugiesin, ich lebe hier, ich bin gern hier und werde immer hier sein, ob Euch das passt oder nicht. Ich werde mit meinen Kindern, mit meinen Enkeln noch hier sein.»

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