Ein besorgter Bundespräsident reist durch sein unruhiges Land. Wenn Berlin oben rechts auf der Karte liegt, ist Bottenbach unten links. Wir sind in der Südwestpfalz, dem Grenzgebiet zwischen Rheinland-Pfalz, dem Saarland und Frankreich. Frank-Walter Steinmeier besucht eine Schule in Bottenbach.
«Macht's Spass in der 1. Klasse, hast du Freunde gefunden, trefft ihr euch auch mal nach der Schule?» Steinmeier ist guter Dinge. Und die Menschen sind begeistert. «Wir leben hier in der Grenzregion. Solche Ereignisse sind hier ganz selten», meint ein Einwohner.
«Ich finde das super schön», freut sich eine Frau über den Besuch. Eine weitere Besucherin des Grossereignisses freut sich darüber, dass Steinmeier «zu den Leuten hingeht und ihnen die Hand gibt».
Offenes Ohr für die Landbevölkerung
Steinmeier zeigt sich als Präsident zum Anfassen, er posiert für Fotos mit Geburtstagskinder: «Ihr dürfte ruhig freundlich gucken!», scherzt er, als die mitgereisten Fotografen den Auslöser betätigen.
Ein bisschen wirkt die Reise des Bundespräsidenten, wie wenn der König seine Untertanen besucht. «Land in Sicht» heisst Steinmeiers Reise in die deutsche Provinz. «Es geht auf keinen Fall darum, Klischees zu bedienen. Leben im ländlichen Raum ist nicht jeden Tag Dorflust und ländliche Idylle. Aber Leben im ländlichen Raum heisst auch, nicht abgehängt sein.»
In US-Kasernen und Tante-Emma-Läden
Steinmeier besucht die einstigen US-Kasernen in Zweibrücken, wo jetzt eine Fachhochschule mit 2500 Studenten und zahlreiche IT-Startups untergebracht sind. Er besucht den Dorfladen in Grosssteinhausen, Sonjas Lädchen, das sich nach dem Wegzug aller anderen Geschäfte mit Hilfe der Dorfgemeinschaft als letztes gehalten hat.
«Die Hälfte der Deutschen lebt nicht in Grossstädten und Ballungsräumen, sondern in ländlichen Regionen. Dort soll hohe Lebensqualität herrschen, und ich kann nur all denjenigen ganz herzlich danken, die dafür sorgen und anpacken – ob haupt-, neben- oder ehrenamtlich.»
In diesen politisch aufgewühlten Zeiten ist die Reise vor allem ein Zeichen der Wertschätzung für die ganz normale Mitte der Gesellschaft, die das Land zusammenhält. Es ist der Versuch, den Kontakt zu Menschen und Wählern zu halten, es ist auch ein Gegenprogramm zu den schrillen Stimmen der Polarisierung und Spaltung in Deutschland.
Und damit ist die Reise indirekt auch ein Gegenprogramm zur AfD, die – unabhängig von politischen Inhalten – nun wirklich nicht als Brückenbauer auftritt.
Lage ist besser als dargestellt
Im Dörfchen Rumbach in Rheinland-Pfalz betonte SPD-Ministerpräsidentin Malu Dreyer, die den Präsidenten begleitet, dass in Rheinland-Pfalz jeder zweite ehrenamtlich tätig sei: «Sie wissen es vielleicht nicht. Aber wir sind das Bundesland in Deutschland, indem die meisten Menschen ehrenamtlich aktiv sind. Nämlich fast jeder Zweite.»
Man hört nur die lauten Stimmen. Die leisen Stimmen, die andauernd für den Zusammenhalt der Gesellschaft arbeiten, überhört man.
Und der Pfarrer des Ortes Rumbach, Philipp Walter, ergänzt: «Ein Aspekt ist sicher, dass Steinmeier Präsenz zeigen will. Er will den Menschen zeigen, dass die Vertreter des Staates die Meinung des Volkes hören wollen und nicht blind für seine Anliegen sind.» Damit gehe er auch gegen die Polemik vor, wonach «die da oben» den Kontakt zu «denen da unten» verloren hätten.
Die Reise zeigt auch, die Lage ist besser als sie dargestellt wird. Michael Zwick ist der Bürgermeister der Gemeinde Dahner Felsenland, die sich dem Tourismus verschrieben hat. 240'000 Übernachtungen auf 15'000 Einwohner. Aber die Lage ist auch nicht so rosig, wie die hübschen Häuser vermuten lassen: «Wir haben hier 14 niedergelassene Ärzte, von denen in den nächsten Jahren die Hälfte in den wohlverdienten Ruhestand geht.»
Und während der Bundespräsident von der digitalen Zukunft spricht, haben wir mitgereisten Journalisten meist keine Internetverbindung. Und wenn, dann das französische Netz. Was der Präsident mit seiner Reise «Land in Sicht» will, fasst der Pfarrer von Rumbach, dessen Vorfahren vor hunderten Jahren aus dem Emmental kamen, prägnant zusammen: «Man hört nur die lauten Stimmen. Die leisen Stimmen, die andauernd für den Zusammenhalt der Gesellschaft arbeiten, überhört man.»