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Mordfall Lübcke «Rechte Kreise nannten ihn einen Verräter»

Zwei Wochen nach dem Mord am CDU-Politiker Walter Lübcke geht die deutsche Bundesanwaltschaft von einem rechtsextremen Hintergrund der Tat aus. Tatverdächtig ist ein vorbestrafter 45-jähriger Mann aus Kassel, der am Wochenende festgenommen wurde. Laut Terrorexperte Holger Schmidt war Lübcke bereits länger im Fadenkreuz von rechten Kreisen.

Holger Schmidt

ARD-Terrorismusexperte

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Holger Schmidt berichtet über Terrorismus in Deutschland und leitet beim SWR die Redaktion Datenjournalismus & Reporter.

SRF News: Noch ist unklar, ob der mutmassliche Täter ein Einzeltäter war oder ob es Hintermänner gibt. Was ist bekannt?

Holger Schmidt: Im Augenblick sagt die Bundesanwaltschaft, dass der 45-jährige Verdächtige allein gehandelt haben könnte. Diese Frage ist zentral für die Ermittlungen – ob es eventuell Hintermänner oder andere Beteiligte gegeben hat. Ob es eine singuläre Tat war oder ob es auch andere Attentatsopfer geben könnte, vielleicht sogar so etwas wie eine Liste.

Die Delikte haben mit Gewalt und Fremdenhass zu tun.

Bei allen Ermittlungen gegen rechte Netzwerke, die wir in den vergangenen Jahren in Deutschland hatten, gab es immer wieder Vorfälle, wo die Polizei glücklicherweise rechtzeitig Dinge entdeckt hat. Da haben solche Listen häufig eine Rolle gespielt. Listen mit Menschen, die eine andere politische Auffassung haben.

Trauergottesdienst.
Legende: Trauernde nehmen Abschied von Walter Lübcke beim Trauergottesdienst in der Kasseler Martinskirche. Keystone

Der Tatverdächtige ist mehrfach vorbestraft und offenbar seit Jahren in rechtsextremen Kreisen aktiv. Was weiss man über ihn?

Die Delikte haben mit Gewalt und Fremdenhass zu tun. Beispielsweise eine Rohrbombe gegen ein Flüchtlingsheim oder ein Überfall auf eine Gewerkschaftsveranstaltung. Die gerichtlichen Verurteilungen gegen ihn enden aber im Jahr 2009.

Mein Eindruck ist, dass Walter Lübcke nach all den Jahren gedacht haben könnte, der Sturm habe sich gelegt.

Nun fragt man sich, was in dieser sehr langen Pause passiert sein könnte. Ist dies vielleicht auch der Grund, dass er als Neonazi in den letzten Jahren von den Behörden gar nicht mehr als relevant eingestuft worden ist?

Walter Lübcke war in rechten Kreisen bereits während der Flüchtlingskrise heftig angefeindet und bedroht worden, weil er sich für eine humane Asylpolitik stark gemacht hatte. Ist das ein Indiz, dass es sich bei diesem Mord um ein politisches Attentat handelt?

Lübcke erklärte 2015, dass wer nach Deutschland aus schlimmsten Bedingungen vor Krieg und Tod flieht, für den müsse man das Mindeste tun und einstehen. Lübcke hat damals einen Satz gesagt, der ihm in rechten Kreisen sehr übel genommen wurde. Wem es nicht passe, dass er und andere sich für solche Menschen einsetzen, der habe die Freiheit, dass er Deutschland jederzeit verlassen könnte.

Leute an Demo.
Legende: Nach der Festnahme des 45-jährigen Rechtsextremen demonstrierten Hunderte gegen rechte Gewalt. Keystone

2015 gab es Dutzende Mord- und Todesdrohungen, wüsteste Beschimpfungen gegen ihn, weil man das als Verrat angesehen hat. Er hatte damals sogar Polizeischutz. Mein Eindruck ist, dass Lübcke nach all den Jahren gedacht haben könnte, der Sturm habe sich gelegt.

Sollte sich der Verdacht bestätigen, wäre es der erste rechtsextremistische Mord an einem Politiker in Deutschland seit vielen Jahrzehnten. Wie geht die deutsche Öffentlichkeit damit um?

Ich wünsche mir, dass darüber diskutiert wird, wozu die Verrohung der Sprache in politischen Auseinandersetzungen in Deutschland geführt hat. Nachdem Lübcke tot war, gab es eine grosse Diskussion über das Motiv. In sozialen Netzwerken gab es sofort Stimmen, die den Tod Lübckes begrüssten und erklärten, dass er es verdient habe.

Leute vor Haus.
Legende: Das Haus von Walter Lübcke wird von Spezialisten untersucht. Keystone

Das war entsetzlich und beschämend zu lesen. Es braucht eine Debatte darüber, ob solche vielleicht leichtfertig und halbstark dahingesagten Sätze im Internet nicht letztlich auch ein Klima bereiten, in dem es dann tatsächlich zu Toten kommt.

Das Gespräch führte Roger Aebli.

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