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Neue Hoffnung für Thailand Ein Jungpolitiker bringt Thailands Generäle ins Schwitzen

Thanathorn Juangroongruangkit hat ein für Thailand radikales Programm: Generäle zurück in die Kaserne, Umverteilungsprogramme, mehr Föderalismus. Damit gewinnt er die Herzen der Jugend.

Kaum steigt Thanathorn von der Bühne, umlagert ihn ein Pulk junger Frauen. Sie kreischen wie an einem Popkonzert. Er arbeitet sich systematisch durch die Menge. Jede will ein Selfie haben, fünf Sekunden, er macht die Fotos gleich selbst, lacht in die Kamera, schnappt sich das nächste Handy.

Auch Kingkaw Nilsuang hat ein Selfie ergattert. Sie wählt am 24. März zum ersten Mal. «Ich habe Politiker noch nie gemocht. Sie waren mir immer viel zu korrupt», sagt sie. «Ich bin aufgeregt und froh, dass nun jemand der neuen Generation in die Politik geht.»

Thanathorn Juangroongruangkit.
Legende: Umschwärmt, wo immer er ist: Thanathorn Juangroongruangkit (Aufnahme vom 22. Februar 2019). Reuters

Ihre Freundin Thithirat Thaisuang ist erst 17 Jahre alt und von Thanathorn ebenfalls begeistert: «Er versteht unsere Generation und unsere Probleme.» Mindestens 100 Selfies später legt sich die Aufregung, der Jungpolitiker eilt zum nächsten Termin. Die neue Generation: Das heisst auch Facebook, Instagram und Line-Messenger.

Mehr Macht für die Provinzen

13 Tage vor der Wahl. Thanathorn Juangroongruangkit macht Wahlkampf im Isaan, dem ländlichen und armen Nordosten Thailands.

Ubon Ratchathani ist ein kleines Provinzstädtchen, gleich ausserhalb der Stadtgrenze beginnen die Reisfelder. Wer jung ist und es sich leisten kann, zieht weg, in die Hauptstadt Bangkok. Ein Wahlversprechen von Thanathorn kommt hier besonders gut an: Dezentralisierung. Mehr Macht, vor allem mehr Steuern, für die Provinzen.

Porträtfoto von Thanathorn .
Legende: Für viele symbolisiert Thanathorn den Wandel. Keystone

Thanathorn Juangroongruangkit, 40 Jahre alt, ist ein Phänomen. Vor einem Jahr noch kaum bekannt, wird er am Sonntag die grosse Mehrheit der Stimmen jener sieben Millionen Thais holen, die zum ersten Mal wählen. Und möglicherweise auch noch viele mehr.

Thanathorn ist ein Symbol für den Wandel und ein starker Kontrast zum konservativen Juntachef Prayuth Chan-o-cha. Dieser hat sich als Zivilpolitiker neu erfunden und tritt ebenfalls an. Der Wahlausgang ist offen, aber die Abgeordneten von Thanathorns Partei «Neue Zukunft» könnten das Zünglein an der Waage für eine pro-demokratische Koalition im Parlament spielen.

Es ist ein kometenhafter Aufstieg. Geboren wurde der heutige Milliardär Thanathorn in eine Unternehmerfamilie. Er hat politische Ökonomie studiert und machte später einen Master in Wirtschaftsrecht an der Universität St. Gallen. Fast 20 Jahre arbeitet er für die Thai Summit Group seiner Eltern – dann steigt er aus.

Die Militärputsche in Thailand hätten ihn enttäuscht und wütend gemacht. Seine Überzeugung: Soldaten gehören in die Kaserne, nicht in die Regierungsgebäude. «Es gab keine politische Führung, die diese Prinzipien vertrat und darum kam es immer wieder zu Coups», erklärte er im Interview mit SRF kurz vor der Parteigründung vor einem Jahr. «Ich sagte mir: Wenn niemand das vertreten will, mache ich es.»

Angriff auf die Vetternwirtschaft der Alten

Zusammen mit Piyabutr Saengkanokkul, einem ehemaligen Professor für Verfassungsrecht an der Thammasat-Universität, legte er Anfang 2018 den Grundstein für die Partei «Neue Zukunft». Als Vorbilder für Thailand nennen die beiden Gründer liberale Wohlfahrtsstaaten aus Europa: Schweden zum Beispiel, aber auch die Schweiz.

Das Programm: zivile Regierung, Dezentralisierung der Bangkok-Bürokratie, Reduzierung der Ungleichheit, ausgebaute Menschenrechte und transparente Regierungsführung.

Mit klaren Forderungen, neuen Köpfen und einem Fokus auf soziale Medien hat die Partei viel frischen Wind in die Politlandschaft Thailands gebracht. Die Partei repräsentiert erstmals politisch diejenigen Thais, die nach 1980 geboren wurden und mit den alten Parteien nur wenig anfangen können.

Thanathorn kritisiert die Klientel-Politik von Thailand: «In der Politik sollte man seinen Freunden keine Gefallen tun. Ich will eine politische Kultur, die auf Leistung basiert», sagte er. Demokratie habe in Thailand gar nie wirklich eine Chance gehabt – weil jeweils gleich der nächste Coup stattfand.

«Die anti-demokratischen Kräfte haben die demokratische Blume immer gleich geköpft, bevor sie wachsen konnte», bilanziert er. «Wir müssen die Politik zurück ins Parlament bringen.» Seine Partei «Neue Zukunft» hat sich innerhalb eines Jahres etabliert und in allen 250 Wahlkreisen Kandidaten aufgestellt.

Hoffnungsträger gegen die Militärdiktatur

Thanathorns Tage beginnen früh – er tourt durch das ganze Land. Um 08.30 Uhr morgens landet NokAir Flug DD9312 in Ubon Ratchathani.

Milliardär Thanathorn fliegt Billig-Airline. Nicht nur seine Wahlversprechen, sondern auch sein Auftreten ist ein starker Kontrast zu den anderen Kandidaten: Ein einfaches Hemd, drei Kugelschreiber in der Brusttasche, oft eine Leinenhose. Auf einem Instagram-Foto sitzt er mit einem Teller Streetfood am Strassenrand. Was bei anderen Kandidaten nach PR klingt, ist in seinem Fall für viele glaubwürdig.

«Er kann etwas verändern, weil er weder zu den Roten noch zu den Gelben gehört, sondern sich selbst ist», sagt eine Frau auf dem Markt von Ubon Ratchathani. «Er kann unser Land vorwärtsbringen.» Ihren Namen will sie nicht sagen. Eine Erinnerung daran, dass Thailand nach wie vor eine Militärdiktatur ist.

Mächtige Gegner im Nacken

Doch auch wenn die Partei «Neue Zukunft» und die anderen pro-demokratischen Kräfte am Sonntag gut abschneiden: Die Macht im Staat bleibt beim Militär. Dafür sorgt die von der Junta eigens dafür ausgestaltete thailändische Verfassung.

Der Senat etwa wird direkt von der Militärregierung besetzt. «Die nächste Wahl ist nur eine wichtige Schlacht in einem langen Krieg», sagt Thanathorn. «Natürlich wollen wir schon jetzt so viele Sitze wie möglich. Aber die Zeit arbeitet für uns.» Die anti-demokratischen Kräfte seien alt.

Und doch tun diese Kräfte alles, um der neuen pro-demokratischen Opposition den Zugang zu den Schalthebeln der Macht zu verwehren. Am 26. März, zwei Tage nach der Wahl, müssen Thanathorn und andere Parteivorsitzende wegen einer Anklage für «Computerkriminalität» vor Gericht erscheinen. Der Grund ist eine angebliche Falschaussage auf einem Facebook-Livestream vom letzten Jahr. «Klar politisch motiviert», sagt Thanathorn.

Eine Verurteilung könnte einen Ausschluss von der Politik von bis zu 20 Jahren nach sich ziehen. Institutionen wie die Wahlkommission, die Gerichte oder die Regierung selbst stünden deutlich auf der Seite der herrschenden Elite, sagen Experten.

Die Grenzen verschieben

Spätabends, die Sonne ist längst untergegangen, spricht Thanathorn auf der letzten grossen Wahlveranstaltung in Ubon Ratchathani. Auf der Bühne präsentieren sich die lokalen Kandidaten, hinter der Bühne isst Thanathorn aus einem Plastikteller. Vor der Absperrung warten junge Frauen, die Smartphones bereits im Fotomodus.

Eine davon ist Sirinan Bookaew, soeben 18 Jahre alt geworden. «Er hat Pflichtbewusstsein und in ihm brennt das Feuer unserer Generation», sagt sie. «Ich möchte, dass er das Bildungssystem verbessert, denn eine gute Bildung ist die Basis unseres Lebens.» Kurz vor dem Auftritt kriegt auch sie noch ein Foto.

Ein guter Zeitpunkt, um über das erste Jahr des Milliardärs Thanathorn als Politiker zu reflektieren. «Wenn ich ein Jahr zurückdenke, dann hat damals niemand über eine Reform des Militärs gesprochen», sagt er. Heute sei das Thema ein Dauerbrenner, alle Parteien hätten es aufgenommen. «Das ist unser Erfolg: Die Grenzen zu verschieben, die Öffentlichkeit unsere Themen diskutieren zu lassen», sagt er. «Wir dominieren heute die Diskussion.»

Sendebezug: 10v10, 22.03.2019

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