Vereint in der Sorge um das zerrissene Land haben die US-Demokraten ihren viertägigen Nominierungsparteitag abgeschlossen. Präsidentschaftskandidat Joe Biden habe überzeugt. Der virtuelle Parteitag sei erstaunlich authentisch und emotionsgeladen verlaufen, bilanziert die Politologin Constanze Stelzenmüller von der Washingtoner Denkfabrik Brookings Institute.
SRF News: Wie schätzen Sie den Auftritt von Joe Biden ein?
Constanze Stelzenmüller: Ich habe das für einen riskanten Moment gehalten, ist Biden doch der älteste Präsidentschaftskandidat aller Zeiten. Er hat den Ruf, nicht sonderlich konzentriert und fokussiert zu sein. Doch er hat eine leidenschaftliche, fokussierte Rede gehalten, die mit den Worten Liebe, Hoffnung und Licht ausklang. Es war sehr eindrucksvoll.
Wie haben die Demokraten den Raum bei ihren ersten virtuellen Parteitag in der Geschichte genutzt?
Wichtig zu wissen, dass solche Conventions hochartifizielle inszenierte Blasen der repräsentativen Demokratie sind. Da kommt das Volk nicht hinein. Die grosse Überraschung des ersten virtuellen Parteitags war, dass es erstaunlich authentisch und emotionsgeladen verlief.
Es sind sehr viele normale Leute zu Wort gekommen, teilweise auch im Zwiegespräch mit Kandidat Biden. Ganz Amerika hat sich gefreut über den Anwesenheitsappell, als die Vertreter der 57 Staaten und Territorien alle vor ihren heimatlichen Kulissen standen und teilweise in indianischen Sprachen oder auf Spanisch oder auf Englisch mit Akzent ihre Stimmen für Biden abgaben.
Es sind sehr viele normale Leute zu Wort gekommen.
Es war insgesamt ein bemerkenswert unfall- und dramatikfreier Parteitag, an dem sehr viel Offenheit und Emotionen, aber auch sehr viel Einigkeit und Freundlichkeit zelebriert wurde. Das hat diesen Kandidaten und auch die Demokraten sehr sympathisch gemacht.
Es war ein bemerkenswert unfall- und dramatikfreier Parteitag mit sehr viel Offenheit und Emotionen.
Konnten die Demokraten bei der Wählerschaft punkten?
Ich denke ja. In den sozialen Medien zeigte sich, dass der Eindruck von Biden auch bei Kritikern sehr positiv ausfiel. Viele waren von seiner Rede angenehm überrascht. Biden hat gewiss Schwächen, aber er ist absolut authentisch.
Ganz klar stehen ihm noch einige Herausforderungen bevor, vor allem die drei Debatten mit US-Präsident Donald Trump. Hillary Clinton ging vor vier Jahren davon aus, dass sie Trump intellektuell überlegen sei, und sie hat überraschend schlecht abgeschnitten. So kann sich Biden nach wie vor auch in den nächsten drei Monaten keine Fehler leisten, wenn er diese Wahl gewinnen will.
Das Gespräch führte Salvador Atasoy.