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Präsidentenwahl in Russland «Putin sorgt dafür, dass niemand neben ihm gross werden kann»

Bei einer Demonstration gegen die russische Präsidentenwahl im März hat die Polizei in Moskau den Oppositionspolitiker Alexej Nawalny verhaftet. Auch weitere Kontrahenten haben kaum eine Chance, bei der Wahl gegen Putin zu gewinnen, wie SRF-Korrespondent David Nauer erklärt.

SRF News: Ist die Demonstration ein Erfolg für den Oppositionspolitiker Nawalny?

David Nauer: Ja und Nein. Ich war an dieser Demonstration in Moskau dabei und es waren ein paar tausend Teilnehmer, so mein Eindruck. So viele wie bei ähnlichen Protesten im vergangenen Jahr auch und Nawalny hat damit bewiesen, dass er Anhänger hat, die er mobilisieren kann. Diese werden auch nicht weniger.

Anderseits ist es aber auch so: In einer Stadt wie Moskau mit über zehn Millionen Einwohnern ein paar tausend Leute auf die Strasse zu bringen, ist dann doch nicht besonders viel.

Lässt sich diese eher tiefe Beteiligung auch als Zeichen für eine generelle Schwäche der Opposition deuten?

Ja, zweifellos. Mein Eindruck ist, dass zwar viele Russen vor allem mit der wirtschaftlichen Situation im Land unzufrieden sind, aber es gibt eben auch keine Figur der Opposition, die diese Unzufriedenheit wirklich kanalisieren kann. Das hat natürlich damit zu tun, dass Präsident Putin seit Jahren dafür sorgt, dass niemand neben ihm gross werden kann.

Viele Russen sind vor allem mit der wirtschaftlichen Situation im Land unzufrieden. Aber es gibt eben auch keine Figur der Opposition, die diese Unzufriedenheit wirklich kanalisieren kann.

Nawalny ist da nur ein aktuelles Beispiel, weil er eben gar nicht an der Wahl formell teilnehmen darf, weil er zu einer bedingten Haftstrafe verurteilt wurde. Faktisch fürchtet der Kreml die Konkurrenz eines Politikers wie Nawalny, der ein gewisses Charisma hat und auch ein Populist ist.

Die Wiederwahl von Putin scheint absehbar. Hat da wirklich niemand auch nur einen Hauch einer Chance? Auch nicht der Kandidat der Kommunisten, Pawel Grudinin?

Nein, ich denke nicht, dass Grudinin mehrheitsfähig ist. Er spricht zwar schon ein bestimmtes Wählersegment an – er ist selber Chef eines grossen Landwirtschaftsbetriebes ausserhalb von Moskau. Er gibt dort den fürsorglichen Patron, der zu seinen Angestellten schaut und sich um sie kümmert. Nach einer solchen Figur gibt es in Russland eine Sehnsucht – gerade bei älteren Wählern und bei Leuten, die finanziell knapp über die Runden kommen. Diese Leute haben vielleicht auch noch nostalgische Erinnerungen an die alten Sowjetzeiten, wo es ihnen ihrer Meinung nach auch besser ging. Aber eine Mehrheit der Russen will dann eben doch lieber Stabilität als neue politische und soziale Experimente unter der Führung eines Kommunisten. Und für diese Stabilität steht eben Putin. Deswegen werden viele Leute ihn auch tatsächlich wählen.

Und was ist mit Xenia Sobtschak, diesem 37-jährigen TV-Star, der sich als linksliberale Regierungskritikerin positioniert hat?

Sobtschak ist eben das liberale pro-westliche Gegenstück zu Grudinin. Sie sagt viele Dinge, die einer kleinen Schicht von wohlhabenden Russen aus den Grossstädten gefallen. Sie will ja eben bessere Beziehungen zum Westen haben und will eine offene, tolerante und moderne Gesellschaft. Sie sagt sogar, die Krim gehöre völkerrechtlich zur Ukraine. Das ist eine Aussage, die in Russland fast schon als Landesverrat gilt. Dennoch denke ich, dass Sobtschak ein ähnliches Problem hat wie Grudinin. Beide sind quasi von der Staatsmacht abgesegnete Oppositionelle. Sie sind Oppositionelle aus dem System, die das System an sich und damit Putins Macht eigentlich nicht in Frage stellen.

Sie sagt sogar die Krim gehöre völkerrechtlich zur Ukraine. Das ist eine Aussage, die in Russland fast schon als Landesverrat gilt.

Mein Eindruck ist, dass Nawalny, der zwar eine schillernde Figur und Populist ist, der einzige Kandidat gewesen wäre, der wirklich hätte gegen Putin gewinnen wollen, der Putin auch immer wieder frontal angriff. Aber eben: Nawalny darf nicht kandidieren.

Besteht für die Opposition wenigstens die Hoffnung, dass einzelne politische Forderungen, die sie geschildert haben, von Putin aufgenommen werden?

Es ist überhaupt ein grosses Rätsel derzeit in Moskau und die Leute zerbrechen sich darüber den Kopf, wie der politische Kurs in der nächsten, vierten Amtszeit von Putin weitergeht. Ich persönlich denke, dass eine Liberalisierung und auch eine Annäherung an den Westen wie Sobtschak das haben möchte, eher nicht zu erwarten ist. Dies weil sich Putin schon als starker Mann, der dem Westen die Stirn bietet, und auch als starker Mann im Innern inszeniert hat. Von diesem Image wieder wegzugehen wird sehr schwierig.

Was die sozialen Probleme betrifft über die ja die Kommunisten sehr gerne sprechen, muss der Kreml schon etwas unternehmen.

Was die sozialen Probleme betrifft über die ja die Kommunisten sehr gerne sprechen, muss der Kreml schon etwas unternehmen. Die Gehälter der Russen sind seit Ausbruch der Wirtschaftskrise 2014 deutlich gesunken. Die Preise steigen weiter und ich höre sehr oft Klagen, gerade in der Provinz, dass die Leute nur mit Müh und Not irgendwie durch den Monat kommen. Ich denke, da muss Putin irgendetwas unternehmen und irgendwie Gegensteuer geben, wenn er nicht riskieren möchte, dass die Opposition in ein paar Jahren plötzlich zehntausende Leute mobilisieren kann.

Das Gespräch führte Samuel Wyss.

David Nauer

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David Nauer ist Korrespondent von Radio SRF in Russland. Von 2006 bis 2009 hatte Nauer für den «Tages-Anzeiger» aus Moskau berichtet, anschliessend aus Berlin.

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