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Präsidentenwahl in Tunesien Stichwahl zwischen zwei Unabhängigen zeichnet sich ab

  • In Tunesien hat am Sonntag die erste Runde der Präsidentschaftswahl stattgefunden. Rund sieben Millionen Tunesier waren dazu aufgerufen.
  • Nach Auszählung von gut der Hälfte der Stimmen kommt der unabhängige Jura-Professor Kaïs Saïed auf 18.7 Prozent. Der im Gefängnis sitzende Medienmogul Nabil Karoui erreicht 15.5 Prozent der Stimmen.
  • Nach den Teilergebnissen der Wahlkommission zeichnet sich eine Stichwahl zwischen den zwei Aussenseitern Saïed und Karoui ab.

Auf Platz drei liegt mit 13.1 Prozent der Kandidat der islamisch-konservativen Ennahda, Abdelfattah Mourou. Der bisherige Verteidigungsminister Abdelkarim Zbidi (9.8 Prozent) und Regierungschef Youssef Chahed (7.4 Prozent) liegen derzeit abgeschlagen dahinter.

Kaïs Saïed hatte bereits am Sonntagabend erklärt, er sei «der Erste im ersten Durchgang». Der 61-Jährige war als unabhängiger Kandidat angetreten und hatte sich im Wahlkampf bewusst von allen Parteien distanziert und setzte auf einen Tür-zu-Tür-Wahlkampf.

Witwe von Staatschef Essebsi gestorben

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Die frühere tunesische Präsidentengattin Chadlia Caïd Essebsi ist tot. Sie starb nur wenige Wochen nach ihrem Ehemann im Alter von 83 Jahren, wie ihr Sohn Hafedh Caïd Essebsi auf Facebook mitteilte. Ihr Mann Béji Caïd Essebsi, Tunesiens erster demokratisch gewählter Staatschef, war am 25. Juli gestorben.

Die Präsidentenwitwe hatte danach zahlreiche Staatsgäste empfangen, die ihrem Mann die letzte Ehre erwiesen. Ansonsten trat Chadlia Caïd Essebsi selten öffentlich in Erscheinung, anders als die Ehefrauen der früheren tunesischen Staatschefs Habib Bourguiba und Zine El Abidine Ben Ali.

Gegen den derzeit zweitplatzierten 56-jährigen Karoui, der nur wenige Tage vor Wahlkampfbeginn in Untersuchungshaft genommen worden war, wird wegen des Verdachts auf Geldwäsche und Steuerhinterziehung ermittelt. Der Medienmogul hatte sich in den vergangenen Jahren einen Ruf als Wohltäter aufgebaut, indem er vor den Kameras seines Senders Nessma TV Elektrogeräte oder Nahrungsmittel an Arme verteilte.

Antrag auf Haftentlassung

Karouis Inhaftierung hatte Umfragen zufolge seine Beliebtheitswerte steigen lassen. Seine Anwälte kündigten an, dass sie einen neuen Antrag auf Haftentlassung stellen wollen. Dieser solle innerhalb von 24 Stunden eingereicht werden. Die bisherigen drei Anträge auf Entlassung aus der U-Haft waren alle abgelehnt worden.

Erstmals Debatte vor der Wahl

Erstmals hatten sich die Kandidaten vor der Wahl in einer im Fernsehen und Radio übertragenen Debatte zu wichtigen Positionen äussern dürfen. Zu den Favoriten zählten vor dem Urnengang auch der amtierende Regierungschef Youssef Chahed und der Kandidat der moderat-islamischen Ennahda, Abdelfattah Mourou. Die Partei war unter dem langjährigen Autokraten Zine el Abidine Ben Ali verboten und wurde erst nach dessen Flucht 2011 wieder zugelassen. Sie stellt zum ersten Mal einen eigenen Kandidaten.

Wahlbeteiligung bei 45 Prozent

Die Wahlbeteiligung lag nach Behördenangaben bei 45 Prozent und damit deutlich niedriger als 2014, als noch 64 Prozent der Wahlberechtigten in der ersten Runde der Präsidentenwahl an die Urnen gegangen waren.

Die ursprünglich für November angesetzte Wahl war nach dem Tod des 92-jährigen Präsidenten Béji Caïd Essebsi Ende Juli auf den 15. September vorgezogen worden. Essebsi war 2011 nach dem Sturz des damaligen Diktators Zine El Abidine Ben Ali gewählt worden.

Das Datum der Stichwahl steht noch nicht fest. Sie muss aber vor dem 23. Oktober stattfinden und könnte möglicherweise mit der Parlamentswahl am 6. Oktober zusammengelegt werden.

Die Chronologie der Demokratisierung

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Januar 2011: Sturz von Langzeit-Herrscher Zine El Abidine Ben Ali. Er verlässt das Land nach 23 Jahren Herrschaft. Der Arabische Frühling beginnt.

Oktober 2011: Die islamistische Ennahda-Bewegung gewinnt 89 von 217 Sitzen der verfassungsgebenden Versammlung.

Dezember 2011: Der Linkspolitiker Moncef Marzouki wird von der Verfassungsversammlung zum Übergangspräsidenten gewählt. Die Nr. 2 der Ennahda-Partei, Hamadi Jebali, wird Regierungschef.

Februar 2013: Der anti-islamistische Oppositionspolitiker Chokri Belaïd wird in Tunis ermordet. Vier Monate später wird der linke Abgeordnete Mohamed Brahmi umgebracht. Die Terrormiliz Islamischer Staat bekennt sich zu den Morden. Tunesien schlittert in eine tiefe, politische Krise.

Ende Januar 2014: Die neue Verfassung wird verabschiedet. Eine Technokraten-Regierung übernimmt die Macht. Die Islamisten ziehen sich aus der Regierung zurück.

Oktober 2014: Die ersten freien Parlamentswahlen gewinnt die Modernisierungspartei Nidaa Tounes (Appell Tunesiens) von Béji Caïd Essebsi, der seinerseits im Dezember 2015 zum Präsidenten Tunesiens gewählt wird.

2015 und 2016 sind geprägt durch mehrere Terror-Anschlägen mit insgesamt über 80 Toten. Der IS bekennt sich zu den Attentaten auf touristische Einrichtungen und Sicherheitskräfte.

Anfang 2016 kommt es zu sozialen Unruhen, nach der Selbstverbrennung eines jungen Arbeitslosen.

Im August 2016 formt Youssef Chahed von der Präsidentenpartei eine Regierung der Nationalen Einheit: Die moderat-islamistische Ennahda-Partei wird wieder an der Macht beteiligt.

Anfang 2018 brechen erneut soziale Unruhen aus, wegen des scharfen Sparkurses der Regierung.

Im August 2018 will Präsident Essebsi die Grosse Koalition beenden. Doch sein Regierungschef weigert sich, die Einheitsregierung aufzulösen – und tritt aus der Präsidentenpartei aus. Es kommt zur Spaltung.

Am 25. Juli 2019 stirbt Béji Caïd Essebsi im Amt. Es kommt am 15. September zu vorgezogenen Neuwahlen. Die Stichwahl wird auf den 13. Oktober angesetzt.

Am 6. Oktober 2019 finden die zweiten, freien Parlamentswahlen statt.

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