Zum Inhalt springen

QAnon-Verschwörer Und plötzlich ist Trump der Erlöser verschwunden

Auf einschlägigen Portalen herrscht Resignation: Donald Trump ist zum Normalbürger geschrumpft – der Deep State lebt.

Der 20. Januar 2021 war ein historischer Tag. Allen Lügen und Widerständen zum Trotz liess sich der legitime Präsident der USA auf den Stufen des Kapitols vereidigen. Donald Trump bekam vier weitere Jahre Zeit, den «Washingtoner Sumpf» trockenzulegen, wie er es einst angekündigt hatte.

Und damit den Staat im Staat, ein undurchdringliches Geflecht aus Politikern, Geheimdienstlern und Wirtschaftsmagnaten, die in Kellern das Blut entführter Kinder trinken, seiner gerechten Strafe zuzuführen.

Zweifel am «Plan»

So zumindest sah das Drehbuch der QAnon-Verschwörer aus, der «Plan». Nun hat sich Trump nach Florida abgesetzt. Statt aus dem Oval Office vieldeutige Tweets abzufeuern, schwingt er im Rentnerparadies den Golfschläger.

QAnon-Anhänger im Kapitol
Legende: Die Verschwörungstheorie mit rechtsextremem Hintergrund hat weltweit Millionen Anhänger, auch in der Schweiz. Im Bild: Der inzwischen verhaftete «QAnon-Schamane» nach dem Sturm aufs Kapitol. Getty Images

«Joe M», einer der prominentesten QAnon-Influencer, hat den Glauben an «Q und seinen Plan» verloren. Der von Twitter verbannte Verschwörer ruft auf alternativen Portalen die «wahren, stolzen Amerikaner» dazu auf, die «bolschewistische Revolution» zu bekämpfen. «Wie dunkel die Stunde auch ist, unser Glaube ist unerschütterlich.» Selbstjustiz statt Führerglaube.

Ein anderer QAnon-Jünger winkt ab. «Ich will einfach nur kotzen», schreibt er in einem populären Chat im Messenger-Dienst Telegram. «Ich bin krank von all der Desinformation und den falschen Hoffnungen.»

«Pizzagate» - die Geburtsstunde von «Q»

Box aufklappen Box zuklappen

In einer Pizzeria in Washington D.C. verhaftet die Polizei 2016 einen schwer bewaffneten Mann. Er ist überzeugt, dass im Keller der Pizzeria Hillary Clinton und Verbündete einen Pädophilen-Ring betreiben. Denn solches behaupten ultrarechte Internetseiten unter dem Titel «Pizzagate» wochenlang während des damaligen Wahlkampfs. Doch in besagter Pizzeria gibt es weder einen Keller noch misshandelte Kinder.

Trotzdem verschwindet die Wahnvorstellung, dass eine satanistische Clique Kinder misshandelt und die Welt beherrscht, nicht: Auf dem Internetforum «4chan» erscheinen im Oktober 2017 wieder entsprechende Botschaften – anonym platziert unter dem Pseudonym «QAnon» – oder Q-Anonymous.

Q, der behauptet, ein hochrangiges Mitglied des militärischen Geheimdienstes zu sein, platziert in Internetforen kryptische Hinweise und Informationsschnipsel. Millionen «Wahrheitssucher» versuchen, diese zu entschlüsseln.

Simone Rafael ist Expertin für Verschwörungstheorien bei der Amadeu-Antonio-Stiftung in Berlin. Diese setzt sich gegen Antisemitismus, Rassismus und Rechtsextremismus ein.

Rafael beobachtet derzeit zweierlei Reaktionen auf Trumps tiefen Fall. Die einen sind in einer Glaubenskrise. «Keine Verhaftungen, kein Militärschlag – die Hoffnung, Trump habe etwas in der Hinterhand, hat sich zerschlagen.»

Andere versuchen, die Verschwörungstheorie der neuen Realität anzupassen. Ihre Losung: Bidens Amtsantritt ist nur ein Intermezzo, bis Trump wiederkehrt. «Es bleibt also alles Teil des Plans. Mit grosser Anstrengung wird versucht zu ignorieren, was passiert ist», so Rafael. «Aber der Heilsbringer ist massiv beschädigt.»

Beschädigt hat ihn auch «Big Tech»: Erzählungen über eine gestohlene US-Wahl gingen um 73 Prozent zurück, nachdem Twitter und diverse andere Plattformen Trump verbannten.

Trump bei einer Rede.
Legende: Der mächtigste Mann der Welt war offenbar auch der mächtigste Multiplikator von Verschwörungstheorien. Getty Images

Experten sind sich aber einig, dass Trumps Ausscheiden aus dem Weissen Haus nicht das Ende der QAnon-Bewegung bedeuten wird. Denn: Wer sich einer Verschwörungstheorie hingibt, verabschiede sich aus der Welt der Realitäten und Beweise, erklärt Simone Rafael.

Flexible Fährtenleser

Die wahnhaften, oft mit antisemitischen Chiffren angereicherten Ideen lassen sich mühelos weiterspinnen. Das Erfolgsrezept: Was sich nicht belegen lässt, lässt sich oft auch nicht widerlegen. «Es ist kein Problem, eine Verschwörungstheorie der jeweiligen Situation anzupassen», sagt Rafael.

Die Expertin gibt ein Muster der Rettungsanker, die derzeit im Netz ausgeworfen werden: Trump hat sich zurückgezogen, um mit seinem eigenen Medienimperium zurückzuschlagen. Oder aber: Joe Biden ist in Wahrheit Donald Trump – die beiden wurden einfach ausgetauscht.

SRF 4 News, 22.01.2021, 6.20 Uhr ; 

Meistgelesene Artikel