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Referendum in Mazedonien «Der Regierungschef hat zu hoch gepokert»

Die wegweisende Abstimmung über eine Namensänderung Mazedoniens zu Nordmazedonien ist ungültig. Es gab zwar ein sehr deutliches Ja für die Änderung. Aber weil die Stimmbeteiligung mit gut einem Drittel zu tief war, gilt das Resultat nicht. Dabei wäre der Lohn für eine Namensänderung eine schnelle Nato-Mitgliedschaft und Beitrittsverhandlungen mit der EU gewesen. Daniel Kaddik von der Friedrich-Naumann-Stiftung in Sofia über die Konsequenzen, insbesondere für Regierungschef Zoran Zaev.

Daniel Kaddik

Projektleiter der Friedrich-Naumann-Stiftung in Südosteuropa

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Seit 2012 ist Daniel Kaddik für die parteinahe Stiftung der deutschen FDP als Projektleiter in Südosteuropa tätig. In seinen Einzugsbereich fallen dabei die Länder Bulgarien, Rumänien, Republik Moldau und Mazedonien.

SRF News: Warum war die Stimmbeteiligung in Mazedonien so tief?

Daniel Kaddik: In der Tat sind nur 37 Prozent, nicht 50 Prozent zur Abstimmung über die Namensänderung gegangen. Das hat hauptsächlich drei Gründe. Erstens gab es eine massive Kampagne zum Boykott durch die Opposition. Sie hat immer noch viele Ressourcen im Land, da sie vormals an der Macht war.

Zaev wird versuchen, die Namensänderung durchs Parlament zu bringen. Er wird damit allerdings scheitern.

Zweitens hat diese Kampagne zu sehr viel Unsicherheit im Land geführt, respektive sie hat die vorhandene Unsicherheit über die Zukunft und vor allen auch über die Frage der nationalen Identität noch verstärkt. Viele Mazedonier wollten sich nicht von aussen einen neuen Namen diktieren lassen. Und drittens war es auch eine Vertrauensfrage für den Premierminister Zoran Zaev, der in den Umfragen in den letzten Monaten deutlich abgegeben hat.

Die Namensänderung muss nun vom Parlament mit einer Zweidrittelmehrheit beschlossen werden. Bekommt Zaev die zusammen?

Das kann er vergessen. Er hat die Frage schon einmal im Parlament gestellt. Damals waren nur 65 von 100 Abgeordneten dafür. Er bräuchte 80. Und die Oppositionsvertreter werden sicherlich auch nicht dafür stimmen. Es gibt für sie keinen Druck von der Strasse, der Namensänderung zuzustimmen. Zaev wird zwar versuchen, sie als Botschaft an die internationalen Partner durchs Parlament zu bringen. Er wird damit allerdings scheitern und seine Position im Land gefährden.

Zaev an einem Rednerpult
Legende: Käme es zu Neuwahlen, wäre das das Ende für Premierminister Zaevs Regierung. Keystone

Zaev hat für den Fall, dass die Opposition die Namensänderung tatsächlich ablehnt, mit Neuwahlen gedroht. Pokert er damit nicht zu hoch?

Drastisch zu hoch. Zaev hat kein Blatt auf der Hand, das er so spielen kann. Er kann sich auch nicht auf die albanische Minderheit verlassen. Die wurde im Vorfeld als Zünglein an der Waage gesehen. Man hatte auf eine sehr hohe Wahlbeteiligung der Albaner gehofft – das scheint nun nicht der Fall gewesen zu sein. Und gleichzeitig sind die Albaner stets das Zünglein an der Waage, wenn es um eine Regierungsbildung geht.

Namensstreit schadet auch Griechenland

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Sollte das Abkommen tatsächlich platzen, wäre die Normalisierung des Verhältnisses der beiden Nachbarländer Griechenland und Mazedonien zu Ende, bevor sie begonnen hat, und die Region wäre so instabil wie zuvor. Und dies trotz denkbar günstiger Umstände, einer linken Regierung in Griechenland und einer sozialdemokratischen Regierung in Mazedonien. «Sollten in Zukunft wieder konservative oder nationalistische Parteien in beiden Ländern an die Macht kommen, ist es sehr unwahrscheinlich, dass man sich näherkommt», sagt Rodothea Seralidou, Journalistin in Athen. Das Problem für Mazedonien: Ohne Schlichtung kann es weder der Nato noch der EU beitreten. Für Griechenland wäre es aber auch wichtig. «Das Land könnte mit einer guten Beziehung zum Nachbarland eine wichtigere Rolle in der Region spielen – auch was die Stabilität angeht.» Das gehe aber nicht, solange sich Athen gegen den Fortschritt in Mazedonien stelle, so Seralidou.

Zaev selber steht mit seinem Parteienbündnis zwei Prozent hinter den Nationalkonservativen. Er würde wahrscheinlich bei der nächsten Wahl nicht stärkste Kraft werden. Und mit der Perspektive werden sich die albanischen Parteien überlegen, ob sie bei Neuwahlen tatsächlich weiterhin den Kurs der Regierung unterstützen.

Zur Opposition gehören auch die früheren nationalistischen Machthaber. Warum sind sie eigentlich so entschieden gegen die Unabhängigkeit?

Die VMRO-DPMNE, wie die ehemalige Regierungspartei heisst, hatte über acht Jahre das Land mit Koalitionen, später auch mit den albanischen Minderheitsparteien, mit einer absoluten Mehrheit fest in der Hand. Es wurde in dieser Zeit sehr viel Korruption und Vetternwirtschaft betrieben, und der Staat wurde nach und nach auf die Partei aufgebaut. Das heisst, viele Personen in der Administration wurden ersetzt mit Parteitreuen.

Wir als Europa müssen uns Gedanken machen, ob wir tatsächlich so attraktiv sind, wie wir gehofft haben.

Es gibt daher zahlreiche Korruptionsfälle, die man nicht veröffentlicht haben möchte. Das krasseste Beispiel ist das Umbauprojekt für die Hauptstadt Skopje, «Skopje 2014», das über 500 Millionen Euro gekostet haben soll. Dieses Geld ist nicht optimal ausgegeben worden. Viel ist versickert. Eine Annäherung an die EU würde bedeuten, dass noch mehr Fälle zutage kommen würden.

Die Situation für den Regierungschef ist ungemütlich. Die Volksabstimmung ist am Quorum gescheitert. Es ist unsicher, ob die Parlamente in Mazedonien und Griechenland die Namensänderung annehmen. Wenn die Pläne scheitern: Was heisst das für Mazedonien?

Für Mazedonien bedeutet das weiterhin Unsicherheit. Neuwahlen könnten anstehen. Was sicher ist: Die Opposition hat jetzt Aufwind bekommen. Gleichzeitig bedeutet das auch ein Infragestellen des euro-atlantischen Kurses der Staaten des westlichen Balkans. Sicherlich werden Länder wie Russland frohlocken. Und wir als Europa müssen uns Gedanken machen, ob wir tatsächlich so attraktiv sind, wie wir gehofft haben.

Das Gespräch führte Isabelle Maissen.

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