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Griechenland nach wie vor in der Krise
Aus Tagesschau vom 20.02.2017.
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Griechenland-Krise «Die Regierung Tsipras zögert die Verhandlungen hinaus»

Das Wichtigste in Kürze:

  • In Brüssel diskutieren die europäischen Finanzminister über die Fortsetzung des bis 2018 laufenden Hilfsprogramms für Griechenland.
  • Umstritten sind weitere Sparanstrengungen. Ausserdem ist unklar, ob der IWF auf Seiten der Geldgeber zusammen mit EU und EZB mit an Bord bleibt.
  • Eine Einigung dürfte bald erfolgen – vor den Wahlen in Frankreich und in den Niederlanden möchte niemand die Griechenland-Krise ständig in den Schlagzeilen sehen.
  • Eine Einigung bedeute aber noch lange keine wirkliche Lösung für das immense griechische Schuldenproblem, sagt die Journalistin Corinna Jessen.

SRF News: Warum rückt der Streit um Griechenlands Schulden gerade jetzt wieder in den internationalen Fokus der Aufmerksamkeit?

Corinna Jessen: Schon seit einem knappen Jahr schleppt sich die zweite Überprüfung des laufenden Hilfsprogramms für Griechenland hin – eigentlich hätte sie schon vor Monaten abgeschlossen sein sollen. Doch jetzt wird es eng: Wenn es heute keinen Durchbruch bei den Verhandlungen gibt, rücken diese den Wahlen in Frankreich, Holland und Deutschland bedrohlich nahe.

Die dortigen Regierungen wollen auf keinen Fall, dass die Griechenland-Rettung während der kommenden Monate ständig in den Schlagzeilen ist. Gleichzeitig herrscht in Athen grosse Spannung in der Frage, welche Zugeständnisse Premier Alexis Tsipras gegenüber den internationalen Geldgebern macht. Dies könnte über die politische Zukunft seiner Regierung entscheiden.

Die Verhandlungen zwischen den Geldgebern und Griechenland kommen nicht voran. Was sind die Probleme aus griechischer Sicht?

Die Regierung Tsipras schiebt den schwarzen Peter den Geldgebern zu: IWF sowie EU und EZB könnten sich nicht auf eine gemeinsame Linie einigen, betont der Premier. Tatsächlich verlangen die Europäer und der IWF unterschiedliche Zielvorgaben. Es bleibt damit unklar, ob der IWF weiter mit an Bord bleibt. Ausserdem seien die Forderungen der Geldgeber so «unvernünftig», dass man ihnen nicht zustimmen könne, liess sich Tsipras vernehmen. Wohl auch deshalb sind bislang erst ein Drittel der verlangten Reformen umgesetzt worden. Dabei sollten u.a. die Renten weiter gekürzt werden – auch wenn das für die Rentner kaum zumutbar und ökonomisch fragwürdig erscheinen mag.

Tatsache ist, dass die griechische Seite die Verhandlungen immer wieder hinauszögert. Sie will damit wohl zeigen, dass sie hart verhandle und nicht alles mit sich machen lässt. Katastrophal ist diese anhaltende Unsicherheit allerdings für die griechische Wirtschaft. Der leichte Aufschwung der vergangenen Monate könnte dadurch zunichte gemacht werden.

Darüber verhandeln Athen und die EU/EZB sowie der IWF:

Es geht um die Fortsetzung des dritten Hilfsprogramms für Griechenland, das im Sommer 2015 beschlossen wurde. Im Gegenzug für Finanzhilfen von bis zu 86 Milliarden Euro verpflichtete sich Griechenland schrittweise eine Reihe an Spar- und Reformmassnahmen umzusetzen. Einen Teil davon hat Athen nach Einschätzung u.a. der OECD vollzogen. Probleme bereitet der Regierung von Alexis Tsipras aber beispielsweise eine angepeilte Liberalisierung des Arbeitsmarkts, mit der etwa Kündigungen erleichtert und Streiks erschwert würden. Die griechischen Bürger sind schon jetzt verzweifelt: Ihre Löhne, Gehälter und Renten sind in den vergangenen Jahren um hohe zweistellige Prozentsätze gekürzt worden. Seit Anfang Jahr gelten ausserdem neue indirekte Steuern, auch wurde die Einkommenssteuer erhöht. Trotz all dem liegt die Verschuldung des griechischen Staates derzeit bei rund 183 Prozent des BIP.

Welche unterschiedlichen Positionen haben EU und EZB sowie der Internationale Währungsfonds IWF?

Der IWF hält die Schuldenlast Griechenlands grundsätzlich für nicht tragbar und fordert deshalb einen harten Schuldenschnitt. Das aber wollen die Europäer auf keinen Fall – weil sie dadurch erstmals im Zuge der griechischen Schuldentragödie Steuergelder abschreiben müssten. EU und EZB sind vielmehr der Ansicht, Griechenland werde es schon schaffen und könne sich nach Ende des aktuellen Hilfspgrogramms ab 2019 wieder an den Finanzmärkten mit Staatskrediten versorgen. Als Zielvorgabe wollen sie deshalb, dass Athen 3,5 Prozent des BIP als Primärüberschuss erzielt – also vor Bezahlung der Schuldzinsen. Das bedeutet, dass die Griechen weiterhin hart sparen müssen.

Die griechische Regierung hatte nie daran geglaubt, die Vorgaben einhalten zu können und daraus auch keinen Hehl gemacht.

Der IWF seinerseits darf sich gemäss seiner Satzung nur an Hilfsprogrammen beteiligen, wenn die Schuldentragfähigkeit gewährleistet ist. Deshalb fordert der IWF nun – eigentlich entgegen seinen eigenen Überzeugungen – noch härtere Massnahmen, um die europäischen Zielvorgaben zu erreichen, auch wenn dies möglicherweise eine neue Rezession in Griechenland zur Folge hat. Gemäss den letzten, unbestätigten Meldungen soll es nun tatsächlich zu einer Einigung kommen und der IWF bliebe mit einem Volumen von 5 Milliarden Euro mit an Bord. Einig sind sich die verschiedenen Geldgeber, dass Griechenland endlich dringend notwendige Strukturreformen in Angriff nehmen sollte, anstatt bloss die Steuern weiter zu erhöhen.

Tsipras blickt in die Kamera.
Legende: Der griechische Premier Alexis Tsipras spielte in den vergangenen Monaten auf Zeit. Reuters

Warum geht es mit den Reformen in Griechenland nicht wirklich voran?

Premier Tsipras und seine Partei Syriza betreiben geradezu eine politische Blockade der Reformen, welche sie in früheren Abmachungen mit den Geldgebern selber unterschrieben hatten. Die Regierung hatte nie daran geglaubt, die Vorgaben einhalten zu können und daraus auch keinen Hehl gemacht.

Ein Minister sagte kürzlich, die Regierung sei zu Reformen gezwungen worden, die sie gar nicht vertrete. So kommt es, dass manche Projekte von der Politik torpediert werden: Der alte Athener Flughafen wurde im Rahmen des Privatisierungsprogramms an einen Investor verkauft, der nun seit Monaten darauf wartet, mit einer sehr grossflächigen Anlage beginnen zu können. Doch 17 Syriza-Abgeordnete fordern nun, das Gelände stärker der Archäologie-Behörde zu unterstellen, was de facto einen Baustopp bedeutet. Solche Beispiele gibt es zuhauf. Die Tsipras-Regierung tut also sehr wenig, um Anreize für eine freie Wirtschaft zu schaffen, und sie tut ebenso wenig, um den Staatsapparat effektiver zu machen.

Was hat sich im griechischen Alltag verändert, wenn Sie auf die letzten Monate zurückblicken?

Vor allem kleine und mittelständische Betriebe ächzen unter einer enormen Steuerlast, selbst bisher gesunden Firmen droht deshalb das Aus. Allein im letzten Jahr mussten mehr als 33'000 Betriebe schliessen, die Arbeitslosigkeit liegt bei 23 Prozent. Die voraussichtlich neuen Massnahmen sehen weitere Einschnitte wie Steuererhöhungen und Rentenkürzungen vor. Gleichzeitig verlassen die jungen, gut ausgebildeten Leute das Land.

Die jungen, gut ausgebildeten Leute verlassen das Land – während jene, die in Griechenland bleiben, immer depressiver werden.

Jene, die in Griechenland bleiben, werden immer depressiver. Viele Familien haben buchstäblich kaum mehr zu essen und können ihre Stromrechnung nicht bezahlen. Tsipras hat zwar keines seiner Wahlversprechen gehalten, doch die Griechen erhoffen sich auch von einem Regierungswechsel keine Besserung: Der Spielraum ist wegen der Kreditverträge mit den internationalen Geldgebern für jede Regierung stark eingeschränkt. Da erstaunt es nicht, dass die Idee der Rückkehr zur Drachme als Zahlungsmittel auf fruchtbareren Boden fällt als noch vor zwei Jahren. Allerdings ist das alles andere als eine einfache Lösung, denn sie würde das Land in völlige Verarmung stürzen, wie erst kürzlich 14 namhafte griechischstämmige Ökonomen in aller Welt gewarnt haben.

Weder Athen noch die Geldgeber haben also ein Interesse, dass der Streit eskaliert. Heisst das, man findet nun eine Lösung, oder wird eher einfach weitergewurstelt wie bisher?

Man wird wohl in irgend einer Form zu einer Einigung kommen und eine Lösung finden. Doch die Sorge bleibt, dass es kein wirkliches Konzept gibt. Es besteht die Gefahr, dass die Menschen in Griechenland resignieren. Die politische Führung ihrerseits könnte sich in einer Misere einrichten und ihr Potenzial damit verpulvern, politisch ums Überleben zu kämpfen, anstatt die Probleme des Landes anzugehen.

Das Gespräch führte Hans Ineichen.

Corinna Jessen

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Corinna Jessen bei TV-Schaltung nach Athen mit Mikrofon.

Corinna Jessen ist freie Journalistin in Athen, Korrespondentin für mehrere deutschsprachige Tageszeitungen und Mitarbeiterin des ZDF. Sie ist in Athen geboren und aufgewachsen. Studiert hat sie in Deutschland.

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